Familienpackung
Räumlichkeiten ohne Christoph? Nichts. Ich fühle mich mies. Geradezu beschissen. Ich packe ein paar belgische Pralinen ins Handtäschchen und bevor ich das Bett auch nur teste, geht’s wieder Richtung Hotelausgang.
Das ist wahre Größe, Schnidt, lobe ich mich selbst, nachts um halb vier ins Taxi steigen und voller Wehmut und sogar mit einem Hauch Reue zum eigenen Mann zurückzufahren.
Der Taxifahrer ist sprachlos. Es ist der, der mich von Gravenbruch zum Frankfurter Hof gefahren hat. »Isch bin grad hier am Hotel stehegebliebe, es is ja nachts net die Hölle los in Frankfort«, begrüßt er mich. »Gut des Sie noch ema da sin, ich hab im Wache was gefunne un bin net sicher, ob es Ihne ihrs is?« Er hält mein Haarnest in den Händen. Ich nicke und könnte schon wieder weinen. Er merkt, dass ich nicht gerade in Top-Stimmung bin. »Un sin mer en bissi rastlos heut nacht? Wo soll’s denn jetzt hingehe, Frolleinche?«, fragt er ganz freundlich. »Zurück, schnell. Nach Gravenbruch. Ins Kempinski«, stottere ich. »Mer sin schon fast da«, braust er los und erspart mir netterweise jeden Kommentar. Da sag mal einer, die Frankfurter wären gefühllose rohe Stoffel. Von dem Mann könnten sich einige was abgucken. Genau elf Minuten später sind wir da, und als ich zahlen will, sagt er nur, »Lasse Se stecke. Ne so unglücklich Braut hab ich ja lang net gesehe. Mach hin und bring dein Lebe in Ordnung«, verfällt er ins du. Glück gehabt. Mein Geld hätte eh nicht mehr gelangt. Ich muss diesen Mann fürs Bundesverdienstkreuz vorschlagen. »Danke, wäre ich nicht schon vergeben, könnte ich mich glatt in Sie verlieben«, sage ich und springe aus dem Taxi.
Schnell durch die Lobby gerannt und ab in den Fahrstuhl. Zimmer 504 . Ich klopfe. Erst zaghaft, dann heftiger. Keine Reaktion. Wenn Christoph schläft, dann schläft er. Ich bleibe hartnäckig. Bis die Frau aus 503 von gegenüber ihren Kopf aus dem Zimmer streckt. Sie scheint richtig sauer. »It’s four o’clock in the morning«, meckert sie mich an, als wäre ich drei und könnte nicht selbständig die Uhr lesen. »My husband«, versuche ich eine Erklärung, »he is in this room. We just married today. And now he sleeps
and does not hear me.« Gut, dass mein Englischlehrer dieses Gestammel nicht anhören muss. »I need to sleep and you should ask at the desk, maybe he is ill or dead.« Meine Güte, die ist aber hart drauf. Aber die Idee, unten Bescheid zu sagen, damit sie mir den Raum aufschließen, erscheint clever. Ich sage »Sorry«, und die Gnädigste verschwindet samt ihres sehr hübschen Negligés wieder im Zimmer.
An der Rezeption Ratlosigkeit. »Ihr Mann, ja, der ist weg, vor etwa fünfzehn Minuten. Hat bezahlt und ist weg.« Zwei Bekloppte, ein Gedanke. Dann ist der jetzt garantiert zum Frankfurter Hof. Aber wenn ich jetzt wieder hinfahre, fährt der wahrscheinlich zur selben Zeit wieder her. Einer muss das ja beenden. Also beschließe ich, vernünftig zu sein, mich hier im Doppelzimmer abzulegen und zu warten, bis er wieder auftaucht. Es kann ihm ja jemand im Frankfurter Hof Bescheid geben und dann müsste er doch in spätestens einer halben Stunde wieder hier sein. Ich komme mir sonst noch vor, wie in einer neuen, abgewandelten Variante von ›Hase und Igel‹. »Wären Sie so nett«, bitte ich den Nachtportier, »im Frankfurter Hof anzurufen und meinem Mann ausrichten zu lassen, ich sei hier.« Er ist irritiert. Wen wundert’s. Ich würde auch denken, zwei Schizophrene hätten Ausgang. Aber er verspricht, es zu tun. Ohne Rückfragen. Wahrscheinlich müssen die hier nachts noch mit ganz anderen Dingen zurechtkommen. Ich schleppe mich wieder ins Zimmer und lege mich aufs Bett. Das ist das Letzte, woran ich mich in meiner Hochzeitsnacht erinnern kann.
Um halb zehn weckt mich Christoph, indem er die Zimmertür aufschließt. »Wo kommst du denn her?«, frage ich bedröppelt. »Ich bin eingeschlafen – in der Suite«, gesteht
er. Ein kleines Rosenblatt in seinem Haar zeigt, dass er die Wahrheit sagt. Als ich nicht in der Suite war, ist Christoph zu uns nach Hause gefahren. Und dann wieder in die Suite. Da hat er sich nur mal probehalber hingelegt und heute Morgen ist er dann völlig verkatert und verknittert aufgewacht.
Wir müssen beide lachen. Was für eine Horrornacht. »Das war die Generalprobe, Andrea, und die muss schief gehen, damit die Premiere klappt.«
Wir frühstücken. Erst im Kempinski und dann im Frankfurter Hof. Man soll ja nichts
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