Familienpackung
sogar ganz gut so. Schließlich weiß ich, dass sie auch nur dann ›ja‹ zum Kinderhüten sagt, wenn sie wirklich Lust darauf
hat. Und ich muss so auch nicht ständig dankbar sein und ein schlechtes Gewissen haben. Meine Kinder mögen ihre Oma, obgleich sie relativ streng ist. »In meinem Haus gelten meine Regeln«, ist ein Klassiker-Satz meiner Mutter. Erstaunlicherweise kapieren Kinder das sehr schnell. Meine Mutter hat etwas, was man wahrscheinlich als natürliche Autorität bezeichnen würde. Bei mir bezweifle ich das Vorhandensein dieser Gabe. Es gibt Tage, da habe ich das Gefühl, dass nicht mal meine eigenen Kinder mich ernst nehmen. Vielleicht ein neuer Punkt für meine Liste.
Rudi und Inge sind jedenfalls eingeweiht. Und ich habe auch die geniale Idee, wie ich Christoph für einige Stunden aus dem Haus locken kann.
Der Plan steht. Es kann eigentlich nichts mehr schief gehen. Wäre zur Abwechslung doch auch mal schön. Mit diesem beruhigenden Gefühl und der Aussicht auf eine herrliche Überraschung schlafe ich ein. Es gibt nun mal nichts Schöneres, als jemanden zu überraschen.
Gut – außer vielleicht, selbst überrascht zu werden.
Tag 6
Das Schönste am Wochenende ist das Ausschlafen. Zu wissen, es gibt keine Hetze, es muss niemand irgendwohin gebracht werden, wenn überhaupt, geht einer Brötchen holen. Nicht einer, sondern Christoph – um bei der Wahrheit zu bleiben.
Auf jeden Fall ist ein Tag so ganz ohne eklatante Verpflichtungen wie Büro und Kinderturnen herrlich. Dieses profane Gammeln, ziel- und planlos, führt bei mir dazu, dass ich mich gleich viel jünger fühle. Ein bisschen wie früher. Der einzige, winzige Störfaktor sind die Kinder. Die wenigsten Kinder neigen vor Pubertätsbeginn zur Langschläferei. Auch Mark und Claudia nicht. Claudia würde eventuell mal bis neun durchhalten, aber dass das keinesfalls passiert, dafür sorgt ihr Bruder. Wenn er wach ist, gibt es, seiner Meinung nach, für niemanden im Haus einen Grund, weiterzuschlafen. Der Kronprinz hat schließlich Anspruch auf Unterhaltung und sucht sie netterweise zuerst bei seiner Schwester. An guten Tagen, sehr raren guten Tagen, funktioniert die Kombi, und Christoph und ich können ausschlafen. Im Normalfall weckt Mark zuerst seine Schwester und – wenn die spielunwillig ist – sofort danach seine Eltern. Mark zu ignorieren ist schwer. Er zieht und zerrt, plärrt und nervt so lange, bis ihm jemand etwas zu essen macht. Mark braucht nach dem Aufstehen sofort Nahrung, gerade so, als hätte er die Nacht im Bergwerk malocht. Wenn er da nicht sofort was kriegt, um es in sich reinzufuttern, kann er sehr ungemütlich werden.
Heute am Geburtstagsmorgen ist einer dieser raren Tage. Wir schlafen ungestört bis neun Uhr. Ein Traum. Ich schaffe es sogar, vor Christoph aus dem Bett zu kommen, den Tisch zu decken und zur Feier des Tages die Brötchen zu holen. Zu Fuß.
In der Küche habe ich schnell nochmal auf meine Liste geguckt und da ist mir der Punkt ›schlankere Schenkel‹ ins Auge gefallen – deshalb zu Fuß! Claudia überreicht ihrem Vater mit großer Geste ein selbst gemaltes Bild und wir singen alle gemeinsam ›Happy birthday‹. So – genau so – hatte ich mir Familienleben vorgestellt. Die Kleinfamilie, glücklich und entspannt, als verschworene Einheit. Wir sehen aus wie aus der Rama-Reklame.
An Christophs Stelle wäre ich allerdings schon längst sauer. Schließlich habe ich ihm mein Geschenk immer noch nicht überreicht. Er ist, in dieser Hinsicht jedenfalls, um einiges anspruchsloser als ich. »Ich habe doch alles, was ich brauche«, sagt er gern, wenn man ihn fragt, was er sich wünscht. Ich könnte in wenigen Sekunden seitenlange Wunschzettel ausfüllen. Trotzdem freut er sich über den Sesselgutschein – oder tut wenigstens so. Nach dem Frühstück will Christoph eine Runde laufen gehen. In aller Ruhe joggen. Was diese Dinge miteinander zu tun haben, ist mir ein Rätsel. Ruhe und joggen. Aber bitte – jeder ruht sich so aus, wie er will. So viel Toleranz sollte man schon haben. Für mich ist ausruhen auf der Couch liegen und lesen. Oder auf der Couch liegen und fernsehen. Oder auf der Couch liegen und ein kleines Schläfchen machen.
Es ist auf jeden Fall praktisch, wenn Christoph für ein Stündchen aus dem Haus ist. Ich muss unbedingt nochmal bei meinen Schwiegereltern anrufen und den genauen
Schlachtplan besprechen. Nicht dass einer der beiden sich verplappert. »Mir sin vorbereitet, Andrea«, gibt
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