Familienpakt: Kriminalroman (German Edition)
fragte Keller in untypischer Zurückhaltung.
»Ja, meine ich«, antwortete die Anruferin ohne jedes Zaudern. »Es sei denn, Sie haben etwas Besseres vor.«
Keller dachte an seine Familie, die im Wohnzimmer seinen Ausstand feierte. Diese Familie war sein Ein und Alles, der unumstrittene Mittelpunkt seines neuen Lebens als Ruheständler.
Doch er konnte nicht anders: »Selbstverständlich bin ich dabei! Wo genau hat sich der Unfall ereignet?«
18
Keller, der kurz, bündig und ohne Gegenfragen zu erlauben seine vorübergehende Abwesenheit erklärt und sich die Wagenschlüssel für den Opel Corsa seiner Frau genommen hatte, musste die schmerzliche Erfahrung machen, dass es ohne ein Blaulicht auf dem Dach kein Entkommen aus einem Stau gab. Dieser hatte sich bereits etliche hundert Meter vor dem Celtistunnel gebildet, dem Ziel seines abendlichen Ausflugs.
Er parkte den Corsa verkehrswidrig auf einem Gehsteig in Hauptbahnhofnähe, wofür er sich garantiert ein Knöllchen einhandeln würde, um zu Fuß weiter bis zum Unfallort zu gelangen.
Der breite, schlecht beleuchtete Eisenbahntunnel war zu beiden Seiten abgesperrt worden. Am anderen Ende der von mattschwarzen Stahlsäulen getragenen Unterführung sah er eine Armada von Rettungswagen, die sich um ein dampfendes Autowrack versammelt hatte. Er bückte sich unter einem Absperrband hindurch und ging auf den Unfallort zu.
»Halt, stopp!« Ein korpulenter Uniformierter stellte sich ihm in den Weg. »Hier geht es nicht weiter. Polizeisperrung. Bitte nehmen Sie einen anderen Weg.« Das bärbeißige Gesicht des Schutzpolizisten nahm devote Züge an, als der Beamte seinen Irrtum erkannte: »Ach, Sie sind das. Ich habe Sie in der Dunkelheit nicht gleich erkannt. Gehen Sie durch, bitte. Ihre Kollegin wartet schon.«
Keller ließ sich seine Genugtuung und innere Freude über diese vielleicht letzte Ehrerweisung eines ehemals Untergebenen nicht anmerken und setzte kommentarlos seinen Weg fort.
Schon beim Näherkommen musste er feststellen, dass sich der Unfallwagen nicht mehr im Ursprungszustand befand, sondern mithilfe eines Krans einige Meter vom Brückenpfeiler entfernt auf den vom Eis glitzernden Asphalt gehoben worden war. Das Dach fehlte, und die sauberen Schnitte an den Dachholmen verrieten Keller, dass die Feuerwehr hier bereits ganze Arbeit geleistet hatte, um an das Opfer zu gelangen. Auch um es selbst in Augenschein nehmen zu können, hatte Keller zu lange bis zum Unfallort gebraucht: Der Leichnam der jungen Frau lag bereits in einem grauen Metallsarg, der etwas abseits auf dem Gehweg stand.
»Wie es aussieht, kann ich nichts mehr ausrichten«, sagte er leicht frustriert, als Jasmin Stahl hinter dem Wrack auftauchte und mit schnellen Schritten auf ihn zukam. »Auf verwertbare Spuren können wir hier bestimmt nicht mehr hoffen.«
»Im Gegenteil, Chef, im Gegenteil!« Die Kommissarin grinste breit.
Keller fiel erst beim näheren Hinsehen ihr ölverschmiertes Gesicht auf. Auch ihre Kleidung wies deutliche Spuren von Straßenschmutz und Schmierstoffen auf. »Haben Sie nachgesehen, ob das Reifenprofil noch okay war?«, fragte er mit leiser Ironie, denn er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Kollegin bei diesem Schummerlicht und ohne die Ausrüstung der Polizeitechnik etwas herausfinden konnte.
»Die Reifen waren okay, soweit ich das noch beurteilen kann. Denn sie sind angesichts der Wucht des Aufpralls geplatzt.«
»Was haben Sie sonst entdeckt?«, wollte Keller nun doch wissen, denn das Grinsen im Gesicht der Kommissarin hielt sich hartnäckig.
Jasmin Stahl zeigte ihm ein Stück Schlauch, das sie bis eben hinter ihrem Rücken verborgen hatte. »Die Bremsleitungen«, warf sie ihm ein Stichwort an den Kopf.
»Was ist mit den Bremsleitungen? Hat sie jemand angeschnitten, sodass die Bremsflüssigkeit auslief? Soll das der Grund für die ungebremste Fahrt in den Pfeiler gewesen sein?«
»Ja und nein«, schränkte Jasmin Stahl ein. »Jemand hat sich an dem Bremssystem des Autos zu schaffen gemacht, dafür gibt es eindeutige Anzeichen. Und ehe Sie fragen: Es war bestimmt kein Marder.«
»Sondern?«
»Es war jemand mit Köpfchen am Werk. Die Eingriffe, die ich auf die Schnelle feststellen konnte, wurden an mehreren Punkten vorgenommen und sind jeweils nur marginal.«
»Das heißt?«, bohrte Keller nach mehr Details.
»Keine dieser Manipulationen konnte allein das Bremssystem lahmlegen. Erst ein Zusammenspiel all der kleinen inszenierten
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