Familienpakt: Kriminalroman (German Edition)
es darum ging, weitere Morde zu verhindern. Uns fehlten die notwendigen Informationen, um ahnen zu können, was noch auf uns zukommen würde.« Mit einem aufmunternd geflöteten »Kopf hoch, Chef!« verabschiedete sich Jasmin Stahl und beendete das Telefonat.
Gedankenversunken blieb Keller sitzen und starrte auf den Telefonhörer in seiner Hand.
Er spürte die Wärme, die von der Hand seiner Frau ausging, als sie ihm zärtlich über den Arm strich. Er hatte ihre Anwesenheit während des Telefonats völlig ausgeblendet. Nun sah er sie schuldbewusst an.
Doris fing seinen Blick auf und erwiderte ihn mit einem verständnisvollen Lächeln. »Es fällt schwer aufzuhören nach all den Jahren, richtig?«
Richtig, dachte Konrad. Unendlich schwer.
20
Welche Rolle spielte das Nürnberger Gefängnis im Fall Wollschläger? Diese Frage beschäftigte Keller immer wieder und wuchs dabei in ihrer Bedeutung von Mal zu Mal weiter an. Was wusste er eigentlich über den Knast, in den er schon so viele kleine und große Ganoven gebracht hatte? Keller rief sich ins Gedächtnis, was ihm wichtig erschien:
Die Anfänge machte der sogenannte Sternbau, der nach einer Bauzeit von drei Jahren 1868 eröffnet wurde. Von den ursprünglich fünf Flügeln standen heute allerdings nur noch zwei, und auch diese waren mittlerweile stillgelegt. Ein Flügel behielt jedoch seine Einrichtung und konnte im Notfall wieder in Betrieb genommen werden, zum Beispiel bei Massenfestnahmen nach Ausschreitungen bei Fußballspielen oder Demos. Da der Platz schon um die Jahrhundertwende knapp geworden war, wurde 1900 mit dem Bau der U-Haft begonnen – dem Gebäudeteil, in dem Wollschläger einsaß. Dieser Trakt wurde 1972 noch einmal immens erweitert und verfügte seitdem über Zellen für fast 1.200 Gefangene. Die Nürnberger JVA galt somit als zweitgrößtes Gefängnis Bayerns.
Was wusste Keller noch? Die Vollzugsanstalt gliederte sich in U-Haft, Strafhaft sowie Frauengefängnis mit Jugendarrest. Eine Besonderheit in Nürnberg war die Nähe zum Gericht: Von der U-Haft aus bestand sogar ein Tunnel, der bis in den Schwurgerichtssaal führte. Ob sich Wollenschläger dieses Tunnelsystem zunutze gemacht hatte, um heimliche Ausflüge aus seiner Zelle zu unternehmen?
Aber wie sollte er das bewerkstelligt haben? Denn immerhin sorgten rund 300 uniformierte Bedienstete für Recht und Ordnung hinter der Gefängnismauer. Dazu kamen Werkdienstkollegen, Verwaltungsdienstler, Krankenpfleger sowie Mitarbeiter der Fachdienste. Es erschien Keller als unmöglich, unter den wachsamen Augen so vieler Menschen einfach zu verschwinden.
Nein, nein, dachte Keller. Wenn er dieser Spur ernsthaft folgen wollte, musste er einen Fachmann zu Rate ziehen. Einen, der den Knast kannte wie sein eigenes Zuhause.
Das schlechte Gewissen seiner Frau gegenüber begleitete ihn, als Konrad Keller sich gegen Mittag auf den Weg ins Bratwursthäusle machte. Die urige Gaststätte, in gemütlicher Nischenlage eingekeilt zwischen Altem Rathaus und Sebalduskirche, gab seines Erachtens nach den passenden Treffpunkt für eine Zusammenkunft mit Klaus-Dieter Strobel ab. Denn das rustikale Lokal, in dem Tischgruppen rund um einen ausladenden Grill angeordnet waren, wirkte dank dezenter Beleuchtung nicht nur heimelig, sondern auch konspirativ. Da Strobel ganz sicher kein gesteigertes Interesse daran hatte, gemeinsam mit Keller in der Öffentlichkeit gesehen zu werden, bot sich ihnen im Bratwursthäusle die Möglichkeit, sich in eine dunkle Ecke zu setzen, die stadtbesten Bratwürste mit Kren zu genießen – und zu reden.
Erfreulicherweise hatte Strobel ohne jedes Zögern zugesagt, als Keller ihn telefonisch um die Zusammenkunft gebeten hatte. Als er eintraf und sich in dem Gasthaus umsah, wartete Strobel bereits auf ihn.
»Konrad!«, rief der stämmige Mann mit kurzgeschorenen, grauen Haaren und einem von tiefen Falten durchzogenen Altherrengesicht. »Hat es dich endlich auch erwischt!«
Die etwa gleichgroßen Männer schüttelten sich die Hand und setzten sich einander gegenüber. An Strobels Platz stand bereits ein halb geleerter Weizenbierkelch. »Ja, ich bin in Rente«, sagte Keller, der gleich wusste, worauf der andere mit seiner Begrüßungsfloskel angespielt hatte.
Beide musterten sich für den Augenblick forschend und eine Spur misstrauisch, bevor Strobel feststellte: »Damit ist die Zeit deiner hinterhältigen Unterstellungen endlich auch vorüber, ja?«
Keller konnte den noch immer nicht
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