Familienpakt: Kriminalroman (German Edition)
Defekte löste den Kollaps der Bremsanlage aus. Unter Umständen ist Krankenschwester Anne schon seit Wochen mit den präparierten Bremsleitungen durch die Gegend gefahren, ohne etwas davon zu merken. Sie saß quasi auf einer rollenden Zeitbombe.«
Keller ließ die Worte der Kollegin auf sich wirken, wobei sein Gesichtsausdruck verbissene Züge annahm.
»Ich ahne, was in Ihnen vorgeht«, sagte Jasmin Stahl leise. »Als ich Ihnen den Bremsschlauch gezeigt habe, dachten Sie an den Freund von Anne. Dass er sie vielleicht loswerden wollte, damit sie ihn nicht mit irgendwelchen unbedachten Aussagen belastete.«
»Für einen kurzen Moment kam mir der Gedanke, ja«, räumte Keller ein. »Doch nun taucht vor meinem geistigen Auge einmal mehr Wollschläger auf – wie eine böse Erscheinung, die unaufhaltsam und überall ihr Unwesen treibt.«
»Oh, wie philosophisch«, meinte Jasmin Stahl. »Leider ist sogar etwas dran: Wollschläger hätte es tatsächlich gewesen sein können. Denn es ist möglich, dass die Veränderungen am Bremssystem vor seiner Verhaftung vorgenommen wurden.«
Keller stampfte kräftig mit dem Fuß auf die Straße. »So ein Sch …!«
»Kein Grund zum Fluchen«, wollte Jasmin Stahl seinen Ärger über ihre gemeinsame Mutmaßung mildern, doch dann folgte sie seinem Blick und erkannte, worauf sich sein Fluch wirklich bezog.
Mit ausladenden Schritten, wehendem Mantel und flankiert von zwei Schutzpolizisten eilte Polizeihauptkommissar Winfried Schnelleisen auf sie zu. Seine Stimme kam einem Donnergrollen gleich: »Was hat der hier zu suchen?« Seine Frage richtete er an Jasmin Stahl, während er seinen langen Zeigefinger wie ein aufgepflanztes Bajonett nach Keller ausstreckte.
»Frau Stahl und ich nehmen Ermittlungen vor«, antwortete Keller an ihrer Stelle und blieb äußerlich ruhig, obwohl es in ihm brodelte.
Schnelleisens Finger kam noch näher und drohte sich in Kellers Brust zu bohren. »Sie, werter Herr Keller, nehmen überhaupt keine Ermittlungen mehr vor. Wir haben Sie heute in den Ruhestand geschickt, schon vergessen?«
Keller schob den angriffslustigen Finger des anderen beiseite. »Das offizielle Ende meiner Dienstzeit ist erst um null Uhr. Bis dahin habe ich das Recht und die Pflicht, meinen Aufgaben als Kriminalbeamter nachzukommen.«
Schnelleisen wirkte für den Augenblick konsterniert. Er blieb sprachlos, doch nur, bis er den Ärmel seines Mantels zurückgeschoben und auf seine Armbanduhr gesehen hatte. Mit boshaftem Frohlocken verkündete er: »Wenn das so ist, sollten Sie Ihre allerletzte Minute als Bulle genießen. Wir haben gleich Mitternacht.« Er nickte den beiden Uniformierten neben sich zu, die sich daraufhin neben Keller in Position brachten.
»Schon gut«, gab Keller bissig von sich. »Bei mir können Sie auf Handschellen verzichten. Ich räume freiwillig das Feld. Aber lassen Sie Ihre schlechte Laune nicht an Kollegin Stahl aus, Schnelleisen. Sie kann nichts dafür, dass ich mich eingemischt habe.« Er hoffte, der Kommissarin mit dieser Bemerkung einen Gefallen getan zu haben, konnte aber nicht sicher sein, ob Schnelleisen ihm glaubte. Wahrscheinlich würde er Jasmin Stahl dafür bluten lassen, dass Keller an diesem neuen Tatort herumschnüffeln durfte.
19
Sehr spät fand Konrad Keller in den Schlaf, und als er aufwachte, stellte er mit einem Blick auf den Radiowecker dankbar fest, dass Doris ihn hatte ausschlafen lassen: fast 10 Uhr. Eine ganz untypisch späte Aufstehzeit für Keller. Doch nun, als Rentner, durfte er es sich wohl erlauben.
Im Flur empfing ihn ein köstlicher Duft nach Toast und frisch aufgebrühtem Kaffee. Doris hatte sich selbst darin übertroffen, ihm einen schönen ersten Morgen im Ruhestand zu gestalten, denn sie hatte den Küchentisch mit neuen Servietten und einer Kerze dekoriert und ihm sogar die Tageszeitung an seinen Platz gelegt.
»Danke, Liebes«, sagte er schmunzelnd, als er sich im Morgenmantel zu ihr setzte. »Werde ich ab jetzt immer so verwöhnt?«
»Wenn du dich gut führst, dann vielleicht«, sagte Doris und reichte ihm den Brotkorb.
Keller bestrich sich sein Toast mit Butter und Hagebuttenmarmelade. Er biss appetitvoll hinein, nahm einen großen Schluck Kaffee und sah seine Frau erwartungsvoll an. Wollte sie denn gar nicht wissen, warum er gestern Nacht so lange fort gewesen war?
Offensichtlich nicht. Doris begann eine Konversation über Burkhard und wollte von ihrem Mann wissen, ob er nicht auch manchmal das Gefühl habe, ihr
Weitere Kostenlose Bücher