Familienpakt: Kriminalroman (German Edition)
besänftigten Zorn seines Gesprächspartners nachempfinden. Obwohl Strobel schon seit fast sechs Jahren Rente bezog, nagten Kellers Vorhaltungen aus alten Zeiten nach wie vor an ihm.
»Ich habe dir nie etwas unterstellt«, rückte Keller das Bild zurecht, »sondern lediglich meinen Job gemacht. Wenn in deinem Knast mit Drogen gedealt wurde und Häftlinge in ihren Zellen ihr Leben gelassen haben, mussten wir ermitteln, das versteht sich von selbst.«
»Meine JVA ist nie eine Musteranstalt gewesen«, antwortete Strobel und hob den Ton, »aber ich habe immer versucht, sie anständig zu führen und meinen Jungs eine Chance zu geben für ihr späteres Leben.«
»Nur leider wurden deine guten Absichten oft genug ausgenutzt – und an dir blieb der ganze Ärger dann hängen«, sagte Keller dem ehemaligen Leiter der Nürnberger Justizvollzugsanstalt offen ins Gesicht.
Besonders in Erinnerung geblieben war ihm der Fall eines erst 21-jährigen Häftlings: Zwei Insassen hatten den Notrufknopf gedrückt, Wachleute den Notarzt alarmiert. Doch jede Hilfe kam zu spät: Der junge Gefangene starb in seiner Zelle an einer Überdosis Heroin. Wie sich bei den polizeilichen Ermittlungen herausstellte, hatte eine Bekannte das Rauschgift ins Gefängnis geschmuggelt, indem sie das Päckchen für den Häftling in der Toilette deponierte. Strobel ließ daraufhin getrennte Klos für Besucher und Häftlinge einbauen. Doch seine Schützlinge fanden andere Wege, um an Stoff zu gelangen, ihre Kreativität kannte keine Grenzen: Zwar wurden wattierte Briefumschläge vom Wachpersonal gefilzt, das hielt einen findigen Kurier aber nicht davon ab, LSD unter den Briefmarken zu platzieren. Andere Dealer warfen ihre Ware, mit Laub oder Gras getarnt, während des Freigangs der Gefangenen einfach über die Mauern.
»Wenn du auf das Drogenproblem anspielst«, sagte Strobel, »das haben die jetzt im Griff. Meine Nachfolgerin hat die Videoüberwachung aufgestockt, und den Rest erledigt Basco, der gefängniseigene Rauschgiftspürhund.«
»Trotzdem kommt es immer mal wieder zu Todesfällen, die verhindert werden könnten, wenn die Schmuggelwege in und aus dem Knast geschlossen werden würden«, hielt Keller dem entgegen.
Strobel sah ihn streng an: »Was willst du, Keller? Du weißt genauso gut wie ich, dass es ein sauberes Gefängnis niemals geben wird. Höchstens auf Kosten der Resozialisierung, das heißt: kein Besuch, kein Freigang, keine berufliche Wiedereingliederung.«
Konrad Keller wusste sehr genau, was sein alter Freund und gelegentlicher Widersacher meinte. Doch gerade in seinem letzten Fall vermutete er in den durchlässigen Mauern der JVA ein ernsthaftes Problem. Nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatten, weihte er den ehemaligen JVA-Leiter in den Fall Wollschläger ein und berichtete darüber, dass die Mordserie munter weitergehe, obwohl der Täter längst hinter Gittern sitze.
Strobel hörte voller Konzentration zu, wobei die Furchen seiner Falten sich noch tiefer in seine lederne Haut einzugraben schienen.
»Du nimmst an, dass dieser Wollschläger vom Gefängnis aus weitermacht und einen Mord nach dem anderen einfädelt?«
Keller deutete ein Nicken an. »Entweder, er hat vor seiner Verhaftung alles vorbereitet oder aber findet einen Weg, um von seiner Zelle aus zu handeln und das Nötige zu veranlassen. Eine andere Möglichkeit sehe ich derzeit jedenfalls nicht. Was sagst du als Knast-Insider dazu?«
Über Strobels ernstes Gesicht fiel ein Schatten, als er sich zurücklehnte. »Vorstellbar ist alles. Häftlinge mit Lockerungen, die die Anstalt stundenweise verlassen oder Hafturlaub nehmen dürfen, werden von Mitgefangenen unter Druck gesetzt, etwas mitzubringen oder etwas für sie zu erledigen. Auch Besucher und manchmal sogar Anwälte lassen sich zu illegalen Handlungen einspannen, das hat es alles schon gegeben.«
Keller musste unwillkürlich an den fetten Advokaten Dr. Raabe denken. »Du hältst es für denkbar, dass Wollschläger von der JVA aus die Aufträge für Morde erteilt?«
Strobel winkte ab. »Denkbar? Ja. Aber es erscheint mir doch für zu weit hergeholt. Dann müsste er noch als freier Mann einen Killer angeheuert und im Voraus bezahlt haben, dem er von der Zelle aus nur noch sein Okay für den nächsten Schlag gibt.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, in dieser Vermutung möchte ich dich nicht bestärken. Zumal Wollschläger ja in Untersuchungshaft bei uns sitzt. Du weißt doch: Die U-Häftlinge sind besonders
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