Familienpakt: Kriminalroman (German Edition)
war der Türrahmen von der breiten Statur ihres Bruders Burkhard ausgefüllt. Rolf prallte gegen dessen Bauch, taumelte wie benommen zurück, um gleich darauf nach einem anderen Fluchtweg zu suchen.
Er fand ihn in einem Fenster auf der Rückseite, dessen Läden er mit einem gezielten Fußtritt aus den Angeln warf. Mit einem Hechtsprung rettete sich Rolf mitsamt seiner Fotokiste aus der Baracke. Sophie, die ihm bis zum Fenster nacheilte, hatte seine Silhouette in der Dunkelheit des Bahngeländes bald aus den Augen verloren.
Als sie sich umdrehte, fiel ihr ein Stein vom Herzen: Außer Burkhard kamen auch Jochen und ihr Vater herein, die sich mit misstrauischen Blicken in dem Holzschuppen umsahen.
»In was für einer Räuberhöhle bist du denn gelandet?«, durchbrach Jochen die immer noch angespannte Atmosphäre.
Sophie warf sich in Konrads Arme. Ohne, dass sie etwas dagegen tun konnte, rannen ihr die Tränen über die Wangen. Schluchzend erzählte sie, was ihr passiert war.
Konrad strich seiner Tochter sanft übers Haar. »Das tut mir sehr leid«, sagte er, »ich wollte dich unter keinen Umständen in eine solche Situation bringen. Hätte ich das geahnt, dann …«
»Mach dir keine Vorwürfe«, unterbrach ihn Sophie, noch immer mit den Tränen kämpfend. »Hauptsache, ihr seid jetzt hier.« Dabei wurde ihr bewusst, dass ihre Rettung alles andere als selbstverständlich gewesen war. Sie fragte: »Wie habt ihr mich denn gefunden?«
Jochen und Burkhard sahen betreten zu Boden. »Da darfst du dich bei Mama bedanken«, meinte Burkhard. »Denn wir hatten den Anschluss verpasst, als du entführt wurdest.«
»Doris hat dazu geraten, das GPS-Signal deines Handys orten zu lassen und damit deinen Standort ausfindig zu machen«, führte Konrad aus. Dank der unbürokratischen und verschwiegenen Hilfe von Jasmin Stahl war dies auch gelungen.
Auf dem Weg nach Hause in die Martin-Richter-Straße, für den sie in Burkhards Familien-Van Platz nahmen, sah sich Keller die wenigen Fotos an, die Rolf in der Baracke verloren hatte. Besonders aussagekräftig erschienen sie ihm nicht, zumal die abgebildeten Personen kaum zu erkennen waren. Nur einer der Männer, die jeweils in inniger Umarmung mit Anne abgelichtet worden waren, kam ihm vage bekannt vor. Doch solange er das Bild auch betrachtete, drehte und in unterschiedlichen Distanzen vor sich hielt, blieb es bei der blassen Ahnung, dass er dem Mann an Annes Seite schon einmal begegnet war. Ein passender Name dazu fiel ihm beim besten Willen nicht ein.
Zu Hause empfing Doris ihre Familie mit einer aufgewärmten Ochsenschwanzsuppe und aufgebackenem Baguette. Sophie durfte ihr Abenteuer noch einmal erzählen. Diesmal noch ausführlicher, weil Doris öfter dazwischen fragte, als ihr Mann es getan hatte.
Konrad Keller saß daneben, löffelte die gut gewürzte Suppe und hörte nur mit halbem Ohr zu. Denn in seinem Kopf arbeitete bereits wieder der Denkapparat des Kriminalisten, der versuchte, die verschiedenen Spuren und Hinweise auf einen Nenner zu bringen.
Dabei erwiesen sich drei Fragen als bislang unüberwindbare Hürden: Hatte die groß angelegte Erpressungswelle von Rolf und Anne etwas mit der Mordserie zu tun? Wenn ja, ob und wie war Wollschläger darin verstrickt? Etwa, indem er das zwielichtige Paar für seine Zwecke eingespannt hatte?
26
Es war spät geworden an diesem Abend, und so fiel es Keller am nächsten Morgen schwer aufzuwachen und sich bewusst zu werden: Jemand hatte an der Tür geklingelt.
Keller sah sich nach Doris um, deren Kopf tief in ihrem Daunenkissen versunken war und die fest schlief. Ein Blick auf den Wecker verriet ihm, dass es nicht einmal halb sechs war.
Als es erneut klingelte, bestand kein Zweifel mehr. Keller schlug die Decke zurück, schlüpfte in seine Birkenstocks und schlurfte leise fluchend in den Flur.
»Ich hoffe, es ist etwas Wichtiges«, rief er gereizt in die Gegensprechanlage, ohne eine Ahnung zu haben, mit wem er sprach. »Wer stört unsere Nachtruhe?«
»Die Polizei«, antwortete Jasmin Stahl, und Keller erkannte an der Strenge ihrer Stimme sofort, dass ein triftiger Anlass für ihr frühes Erscheinen vorlag.
Ein Kuss auf die Stirn seiner Frau, eine eilig notierte Nachricht, Katzenwäsche und schnelle Garderobenwahl: Weil es draußen so bitter kalt war, nahm Keller seine gefütterte Skijacke vom Haken anstatt des üblichen Mantels. Gleich darauf saß er an der Seite der jungen Kommissarin im Fond eines Streifenwagens.
»Was
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