Familienpakt: Kriminalroman (German Edition)
liegt an?«, fragte er, ein wenig aus der Puste.
»Gegenfrage«, sagte Jasmin Stahl, deren fahle Gesichtsfarbe dafür sprach, dass auch ihre Nacht kurz gewesen war. »Das Ziel Ihrer gestrigen Privatobservierung war Rolf, der Freund der ermordeten Krankenschwester, liege ich da richtig?«
Keller sah etwas besorgt auf den Fahrer des Wagens, einen uniformierten Schutzpolizisten. Seine Antwort gab er deshalb im Flüsterton: »Ja, das ist korrekt. Dank Ihrer Mithilfe durch die Ortung des Handysignals waren wir ihm dicht auf den Fersen. Aber leider ist er uns durch die Lappen gegangen. Sonst hätten wir ihn gern bei euch abgeliefert. Ich bin überzeugt davon, dass sich ein Gespräch mit ihm gelohnt hätte und er einen guten Kronzeugen gegen Wollschläger abgeben würde.«
»Tja«, meinte Jasmin ein wenig schnoddrig. »Dafür ist es zu spät.«
»Was soll das heißen?«, fragte Keller alarmiert.
»Seine Leiche wurde vor knapp zwei Stunden nahe der Bahngleise am Güterbahnhof gefunden.«
»Ist er von einem Zug erfasst worden?«, wollte Keller wissen, der diese neue Todesnachricht kaum glauben konnte und besorgt darüber war, den Mann vielleicht sogar selbst in den Tod getrieben zu haben.
Die Kommissarin verneinte. »Kopfschuss aus nächster Nähe. Es sieht ganz nach einer Hinrichtung aus.«
»Hinrichtung?« Keller war verblüfft und nicht fähig, diese Entwicklung einzuordnen.
»Die Streife fährt uns zum Tatort, aber viel ist nicht mehr zu sehen. Schnelleisen hat sich schon um alles gekümmert und die Leiche wegschaffen lassen. Ich bin quasi außen vor geblieben.«
»Das ist bedauerlich, aber sein gutes Recht«, sagte Keller, ohne großartig darüber nachzudenken. Denn er musste den Toten nicht sehen, um seine Konsequenzen aus dem Gehörten zu ziehen: Jasmin Stahl hatte soeben sein komplettes Konstrukt umgeworfen, seine Theorie zunichte gemacht und die Uhren zurück auf null gedreht. »Ein Kopfschuss ist etwas völlig anderes als ein Stromschlag oder defekte Bremsen. Wollschläger hat Rolfs Tod unmöglich vor seiner Verhaftung vorbereiten können«, sagte er und fügte matt hinzu: »Wenn er seine Zelle in der letzten Nacht nicht verlassen hat, kann er nicht unser Mörder sein.«
»Hat er nicht«, bestätigte Jasmin Stahl. »Haben wir bereits überprüft. Er lag zum Zeitpunkt des Mordes auf seiner Pritsche und schlief.«
»Wenn das so ist, bliebe die Möglichkeit eines Auftragsmords durch einen Profikiller«, unternahm Keller einen letzten Rettungsversuch für seine Theorie.
»Unwahrscheinlich«, kommentierte die Kommissarin.
»Ja, ich kann selbst nicht daran glauben.«
»Wir müssen uns wohl mit dem Gedanken anfreunden, dass Wollschlägers umfassendes Geständnis falsch war. Dass er lediglich aus Erschöpfung und gebrochenem Willen eingelenkt und alle Schuld auf sich genommen hat. Dass er zwar Motiv und Willen für die Taten aufweist, wir es letztlich aber mit einem zweiten Täter zu tun haben.«
Keller nickte langsam und nachdenklich. Sie fuhren in das Bahnhofsareal ein, vorbei an den Flatterbändern der Polizei, als Keller Einzelheiten der vergangenen Nacht preisgab und die Erpresserfotos zeigte, die er in seiner Brieftasche deponiert hatte.
»Eine neue Spur«, murmelte Jasmin, und ein Leuchten trat in ihre Augen. »Ich müsste sofort Schnelleisen darüber informieren.«
»Ja, das müssten Sie«, bestätigte Keller die junge Kollegin in ihren Pflichten.
Sie sah ihn verschwörerisch an. »Doch was ist, wenn wir wieder auf der falschen Fährte sind? Besser wäre es, die neue Spur zu untersuchen, bevor ich den Boss wegen eines Fehlalarms aufschrecke.«
Keller signalisierte mit einem freundlichen Brummen seine Zustimmung.
»Also gut!«, sagte Jasmin voller Tatendrang. »Wir nehmen uns Rolfs Wohnung vor. Polizeilich gemeldet ist er in Gibitzenhof.« Sie nannte dem Schutzpolizisten die genaue Adresse.
Rolfs Wohnung, zu der sich Jasmin Stahl gewaltsam Zutritt verschaffte und dabei in Kauf nahm, das Türschloss zu zerstören, entsprach nahezu hundertprozentig Kellers Erwartungen: Das Zwei-Zimmer-Appartement verfügte über eine Einrichtung wie aus dem Möbelhausprospekt inklusive schwarzer Sofagarnitur, Schrankwand und großem Fernseher mit Surroundboxen. Bilder von leichtbekleideten Damen hingen an den Wänden, mehr oder weniger kunstvolle Fotografien und einige Aquarelle. Die Akte wirkten auf Keller dermaßen ungelenk, dass er darauf tippte, sie stammten von Rolf höchstpersönlich.
Ein Blick ins
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