Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
vermeldet wurden. Meistens von Neugeborenen mit Müttern aus sozial instabilen Verhältnissen. Der erste Artikel über das Hospital El Divino Niño erschien in einer kleinen Zeitung, unglücklicherweise ging er in der allgemeinen Empörung unter, die der Kinderhandel in den drei weit größeren Spitälern ausgelöst hatte. Der Journalist ließ jedoch nicht locker und forschte weiter, ein zweiter Bericht stieß bereits auf mehr Beachtung. Ein Fernsehsender interessierte sich plötzlich für die Sache und es sah ganz danach aus, als weite sich der Skandal auf ein viertes Spital aus. Doch dann, buchstäblich über Nacht, verschwanden die beiden verantwortlichen Ärzte und die Belegschaft verweigerte jede Aussage. Wenige Tage danach ging das Archiv im Keller in Flammen auf und brannte komplett aus.«
»Wir waren heute dort«, informierte ich Mo.
»Habt ihr Oberschwester Maria kennengelernt?«
»Von ihrer besten Seite.«
»Offiziell hat sie keine andere.«
»Das hab ich mir gedacht. Ich vermute, dass der Orden nach 1995 die Babys von Sánchez’ Privatklinik gekriegt hat, er stand scheinbar noch in engem Kontakt mit den Schwestern. Wir hoffen, dass wir durch ihn an die Adoptionsakten gelangen, damit wir die Namen von Noemis leiblichen Eltern ausfindig machen können. Ist er allerdings tatsächlich verschollen oder gar verstorben, bleibt unser einziger Trumpf in dieser Angelegenheit diese Hebamme.«
»Wer war dieser zweite Arzt?«, fragte José nach und bedeutete dem Kellner mit einer Handbewegung, dass wir gern eine weitere Flasche hätten.
»Grüninger, ein Schweizer notabene.«
Plötzlich erinnerte ich mich an den glatt rasierten und etwas steif wirkenden Mann neben Sánchez, den ich auf dem Foto in Schwester Marias Büro gesehen hatte. Es war mir, als hätte sie ihn kurz erwähnt, und es war unverzeihlich, dass ich ihm nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Aber das überraschende Wiedererkennen der Ordensschwestern auf dem Bild sowie Marias Erläuterungen dazu hatten mich in dem Moment zu sehr in Beschlag genommen.
»Doktor Grüninger war maßgeblich am Kinderhandel beteiligt«, erklärte Mo. »Er ist ebenfalls verschwunden, was nicht weiter überrascht. Nach dem Abgang im El Divino Niño tauchten die beiden ein paar Monate unter, doch Anfang 1997 eröffneten sie klammheimlich diese Luxusklinik, wahrscheinlich um kein weiteres Aufheben um ihre dubiose Vergangenheit zu provozieren. Aber unter Madrids oberen Zehntausend sprach sich die Neuigkeit schnell herum und schon bald genoss die Institution einen hervorragenden Ruf.«
»Was geschah mit dem Journalisten, der die beiden beinahe überführt hatte?«
»Der hat nicht aufgegeben, das war nicht seine Art.« Mónica blickte gedankenverloren auf die Etikette der leeren Flasche und hob dann etwas zu abrupt den Kopf. »Seine Nachforschungen über die neue Klinik förderten nichts Illegales zutage. Die beiden Ärzte schienen ihren Job jetzt seriös auszuüben. Später wurde dem Journalisten aber zugetragen, dass in der Klinik Frauen aus weniger privilegierten Gesellschaftsschichten gratis behandelt würden. Diese Nachricht alarmierte ihn natürlich in höchstem Grade, doch entgegen jeder Wahrscheinlichkeit wurden weder Presse noch Behörden misstrauisch. Im Gegenteil: Der selbstlose Einsatz stellte den Ruf der beiden Mediziner endgültig wieder her, sie wurden als humanitäre Wohltäter gefeiert und als leuchtende Beispiele dafür präsentiert, wie man ein Unternehmen gewinnorientiert betreiben konnte, ohne dabei die soziale Verantwortung zu vernachlässigen.
Doch der Journalist hatte sich mittlerweile viel zu sehr in das Thema verbissen, als dass er einfach davon hätte ablassen können. Er setzte alles daran, den beiden Ärzten das Handwerk zu legen. Endlich, nach einer jahrelangen Durststrecke, kontaktierte ihn eine Frau, eine drogenabhängige Prostituierte, die an der Calle de la Luna anschaffte. Sie behauptete, in der Klinik ein Kind geboren zu haben. Die übliche Geschichte: Man hatte ihr gesagt, das Neugeborene sei unerwartet gestorben, die Klinik würde sich um das Begräbnis kümmern. Nur war sich die Frau absolut sicher gewesen, dass ihr Junge gesund zur Welt gekommen war, sie hatte ihn sogar schreien gehört. Der Journalist versprach, der Sache nachzugehen. An einem regnerischen Abend im März 2007 machte er sich auf den Weg zur Klinik. Seither hat man ihn nicht mehr gesehen.« Mo machte eine Pause.
»Carlos ist tot?«, fragte José mit heiserer
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