Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
feixte Mo.
»Früher hättest du für eine Flasche Sherry gemordet!«
»Früher hatte ich ja auch einen schlechten Geschmack.«
José streckte ihr die Zunge heraus, worauf sie ihm zwar den Mittelfinger zeigte, aber das Eis schien gebrochen. Immerhin waren das die ersten Worte gewesen, die die beiden seit der etwas ungewöhnlichen Begrüßung direkt miteinander gewechselt hatten.
Nachdem die Flasche geöffnet war, was José einiges an Geschick abverlangte, weil er den Korken unter Zuhilfenahme einer herumliegenden Schraube herauspulen musste, nahmen wir reihum einen Schluck und feierten unser unerwartetes Zusammentreffen.
»Woher wusstest du, dass wir hier waren?«, fragte ich Mónica.
Verschmitzt lächelnd deutete sie zur Kellertür: »Ich habe einen guten Draht zu den Jugendlichen, die sich hier zeitweise einquartieren. Alles Kinder aus gutem Hause, die ein wenig den Aufstand proben, bevor sie von ihren Eltern an die Eliteuniversitäten des Landes geschickt werden. Hin und wieder versorge ich die mit etwas Gras. Dafür müssen sie mir sofort melden, falls sich jemand Zugang zur Klinik verschafft. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit hoffe ich natürlich immer noch, Sánchez zu erwischen.«
Sie zog die Schultern hoch und ließ sie langsam wieder sinken. »Von den Verantwortlichen laufen noch heute die meisten frei herum und ganze Berge an Unterlagen sind seither auf mysteriöse Weise verschwunden. Immerhin bewirkte der öffentliche Aufruhr, dass die illegalen Adoptionen endlich eingestellt wurden. Der Justizminister sprach von Gendatenbanken, die man einrichten wollte, um Kinder mit ihren biologischen Eltern zusammenzuführen, geschehen ist bisher wenig. Man dachte tatsächlich, der Spuk sei vorbei, doch dann …«
»Hört ihr das auch?«, unterbrach ich Mos Erläuterungen. Alarmiert horchten wir auf die Polizeisirene, die eben noch beiläufig und weit entfernt geklungen hatte, sich nun aber drohend näherte.
»Joder!« , fluchte Mo und eilte zu einem Fenster auf der gegenüberliegenden Korridorseite, von wo aus man die Straße überblicken konnte.
Schulkinder in dunkelblauen Uniformen waren neugierig stehen geblieben, von einem der benachbarten Grundstücke gaffte eine ältere Dame herüber.
Der Polizeiwagen war direkt vor die Klinik gefahren und stand schräg auf dem Gehsteig. Zwar war das Martinshorn verstummt, doch das Blaulicht flackerte weiterhin, während die Beamten noch im Fahrzeug saßen und sich abzusprechen schienen.
»Das haben wir Oberschwester Maria zu verdanken!«, raunte ich José zu. »Die will uns aus dem Weg haben.«
»Denke ich auch. Sie wusste, dass wir direkt hierhinfahren würden und hat den Bullen vorsorglich einen Einbruch gemeldet. Das Timing der alten Hexe ist perfekt!«
»Was jetzt?« Ich suchte Mos Blick. Keiner von uns verspürte große Lust, den Rest des Tages und womöglich sogar einen Teil der Nacht auf dem Polizeirevier zu verbringen und immer wieder aufs Neue zu erklären, was genau wir in dem leer stehenden Gebäude zu suchen hatten. Wenn uns jemand aus dieser Situation retten konnte, dann eine gewiefte Journalistin.
»Wir gehen hinaus. Und zwar jetzt.«
»Und was erzählen wir denen?«
»Lasst mich nur machen.« Sie griff sich ein Clipboard, das verwaist auf einem der abgeräumten Schreibtische herumlag, und pustete die Staubschicht weg, dann zückte sie einen Kugelschreiber. Am Schluss setzte sie sich eine Sonnenbrille auf, die sie ihrer Handtasche entnahm.
»Kommt mit!« Flink stieg Mo die Stufen in den Keller hinunter. Mittlerweile waren die Polizisten aus dem Wagen gestiegen und das Schrillen der Türglocke schallte durchs ganze Haus. Gleichzeitig kam jemand die Außentreppe zum Keller herunter.
Ich sah, wie Mo grinste. Die Angelegenheit schien ihr einen Heidenspaß zu bereiten.
Sie öffnete die Kellertür und schubste uns ins Freie.
»Einfach weitergehen, nichts anmerken lassen«, wies sie uns flüsternd an.
Sie folgte uns und begann so laut auf Spanisch auf uns einzureden, als hielte sie uns für hörbehindert: »Und gleich zeige ich Ihnen die entzückende, entzückende Gartenanlage. Eine wundervolle Oase der Ruhe, wo Sie sich von der Hektik des Alltags erholen können. Die Büsche sind etwas verwildert, aber ich denke, Sie werden ohnehin einen Gärtner …« Mónica, die im Begriff war, die Tür hinter sich zuzuziehen, brach den Satz ab, um mit ärgerlich gekräuselten Lippen zum Polizeibeamten hochzublicken, der mit der Hand an der Waffe auf halbem Weg
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