Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
schwerfiel. Das Leben war nun mal selten so ulkig wie ein Jennifer-Aniston-Film.
»Das Flugzeug landet!« Aufgeregt deutete Miranda auf die Anzeigetafel und zog so heftig an ihrer Zigarette, als wollte sie diese mit einem einzigen Zug beenden.
Unverzüglich stürmten wir ins Ankunftsterminal hinein und blickten gespannt durch die Scheiben in die Halle mit den Gepäckbändern.
Keiner sprach ein Wort. Miranda knabberte nervös an ihren Fingernägeln, José starrte mit schuldbewusstem Gesicht vor sich hin, und Manju hielt meine Hand fest, als wollte sie nie mehr loslassen. Zu meinem Erstaunen stellten sich die bisher in solchen Situationen üblichen Fluchtreflexe nicht ein.
Fünfundzwanzig Minuten später setzte sich das Band für den Flug aus São Paulo endlich in Bewegung und die ersten Koffer schoben sich durch die Luke. Als kurz darauf die Passagiere in die Halle strömten, reckte Miranda erwartungsvoll den Kopf und hielt Ausschau.
Bis zum Beichtbrief im vergangenen Jahr hatte Tereza, Mutter von Joana und vor zwei Jahrzehnten kurzfristig Mirandas – beziehungsweise Gustavos – Geliebte in Brasilien, die Vaterschaft geheim gehalten. Außer sich vor Freude hatte sich daraufhin das Mädchen bei seinem Vater gemeldet, von dem es ebenfalls nichts geahnt hatte, und einen Besuch in Zürich angekündigt. Doch die schockierte und auch beschämte Miranda hatte das Treffen immer wieder hinausgezögert, bis ihr keine Ausreden mehr eingefallen waren. Heute bekam Joana ihren Vater endlich zu Gesicht. Wie es schien, hatten es ihre Eltern aber versäumt, sie auf die wundersame Metamorphose ihres Erzeugers vorzubereiten. Ich war wohl nicht der Einzige, der vor lauter Neugier auf die erste Reaktion Joanas beinahe platzte.
Als der allerletzte Passagier von Flug LX 97 die Ankunftshalle verlassen hatte, wurde uns klar, dass kein blondes, neunzehnjähriges Mädchen darunter war.
»Aber sie hätte sich doch sicher gemeldet, wenn was dazwischengekommen wäre!«, stammelte Miranda, während ihr die Tränen in die Augen schossen.
»Garantiert«, beschwichtigte Manju sie. »Sie hat sich doch so darauf gefreut, dich endlich kennenzulernen. Wahrscheinlich haben wir sie einfach übersehen oder sie wird noch bei der Passkontrolle festgehalten.«
Die tröstenden Worte überzeugten Miranda nicht ansatzweise. Beunruhigt sah sie sich um und eilte dann durch den Korridor voraus zum Zollausgang, wo sie sich zuvorderst an die Absperrung drängelte. Jedes Mal, wenn sich die Schiebetüren öffneten, fuhr sie zusammen, doch als der Strom an Reisenden allmählich versiegte, fehlte von Joana immer noch jede Spur.
»Ihr Telefon ist ausgeschaltet«, stellte Miranda verzweifelt fest und ließ das Handy sinken. »Wo mag Joana bloß stecken?«
Ein junger Mann in weiter Hip-Hop-Bekleidung, der soeben inmitten einer Gruppe Japaner die Halle verlassen hatte, blieb bei der Erwähnung des Namens unvermittelt vor Miranda stehen und sah sie durch seine dunkle Sonnenbrille konsterniert an.
»Was ist, Kleiner? Noch nie eine Transe in Chanel gesehen?«, blaffte ihn Miranda an.
Gehetzt sah sich der Junge um, bevor er die Baseballmütze, die er tief ins Gesicht gezogen hatte, ganz kurz anhob. Darunter kam langes, blondes Haar zum Vorschein. Erst jetzt fielen mir seine weichen Gesichtszüge auf, die feingliedrigen Hände.
»Joana?«, flüsterte Miranda verständnislos.
Der Junge nickte kurz und ließ seinen Blick durch das Ankunftsterminal schweifen. Plötzlich zuckte er zusammen, duckte sich hinter Miranda und bedeutete uns mit einer knappen Kopfbewegung, ihm zu folgen. Alarmiert drehte ich mich um, konnte jedoch nichts Verdächtiges entdecken. Stirnrunzelnd lief ich den anderen zu den Rolltreppen hinterher. Ich war beinahe im unteren Stock angekommen, von wo aus man zum Parkhaus gelangte, als ich plötzlich das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Ich blickte hoch und sah gerade noch einen blau glänzenden Trainingsanzug in der Menschenmenge verschwinden.
Joana hatte abgenommen und wirkte nicht mehr ganz so mollig wie auf den Fotos, die mir Miranda stolz gezeigt hatte. Noch im Parkhaus hatte sie sich aus ihrer lächerlichen Verkleidung geschält, darunter war ein schwarzes Kleid zum Vorschein gekommen, das andere Frauen vielleicht zu einer Operngala, keinesfalls aber für einen zwölfstündigen Flug angezogen hätten. Den extravaganten Kleidungsstil hatte sie eindeutig von ihrem Vater geerbt – oder ihrer Mutter, wie auch immer man das sehen wollte.
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