Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
Flughafen Kloten an.
Ich war sprachlos gewesen, als ich am frühen Morgen José in seinem Hotelzimmer abholen wollte und mir stattdessen Mo mit einem betretenen Lächeln die Tür geöffnet hatte. Doch José und ich hatten so viel gemeinsam durchgemacht, dass mich ein Seitensprung nicht wirklich schockierte. Es gab meiner Meinung nach Schlimmeres, das einer Beziehung widerfahren konnte.
Zudem war das eine Sache, die er selbst verantworten musste. Kam es hart auf hart, würde ich ihn selbstverständlich decken, dazu waren Freunde da, aber diesmal würde es nicht einfach werden. Ich mochte Fiona sehr, gleichzeitig verstand ich nur zu gut, was José gerade durchmachte. Aber ich war angesäuert. Vielleicht war es der stille Neid, die Tatsache, dass er ohne Rücksicht auf die Folgen getan hatte, was ich mir selbst versagt hatte.
Es war mir gestern Abend nicht leichtgefallen, Maria gehen zu lassen. Nur zu gern hätte ich mit ihr die Nacht verbracht. Aber mein Entschluss, nichts zwischen Manju und mich kommen zu lassen, stand. Unsere Beziehung hatte eine Reinheit, die ich nicht mit einem One-Night-Stand beschmutzen wollte. Mir war es wirklich ernst mit ihr. Seufzend blickte ich aus dem Fenster. Wahrscheinlich wurde ich allmählich doch erwachsen.
»Diese verdammte Warterei geht mir auf den Sack!« Zum wahrscheinlich tausendsten Mal linste Miranda durch die Glastür zur Anzeigetafel, auf der die ankommenden Flugverbindungen laufend aktualisiert wurden. Die Maschine aus São Paulo würde in Kürze landen, mit knapp einstündiger Verspätung. Miranda rauchte ihre Zigarette hektisch bis zum Filter hinunter und zündete sich unmittelbar eine neue an. Die Hand mit dem Feuerzeug zitterte dabei und ihre Gesichtszüge waren so bewegt, dass ich erwartete, sie jeden Moment entgleisen zu sehen.
»Bleib locker«, ermahnte Manju sie und drückte ihren Arm. »Sobald ihr euch zum ersten Mal anseht, wird die Anspannung wie weggeblasen sein. Alles wird gut.«
»Ich weiß nicht. Vielleicht wäre ich doch besser in ein Paar Jeans geschlüpft und hätte mich einige Tage nicht rasiert.«
»Aber das wärst nicht du gewesen!«
Zweifelnd schaute Miranda an sich runter und zupfte an dem ungewohnt strengen Chanelkostüm mit Karomuster herum. Wie immer war sie ein kleines bisschen overdressed, doch das gehörte zu ihr wie die dramatische Sonnenbrille und das bei offiziellen Anlässen obligate Hütchen. Sie sah aus wie Jackie Kennedy auf dem Weg zu einer Teeparty, nur dass ihr deren stoische Haltung fehlte. Aber wer mit einem amerikanischen Präsidenten und einem griechischen Reeder verheiratet gewesen war, den erschütterte ohnehin nichts mehr.
Seit unserer Ankunft standen wir vor dem Eingang des Terminals herum, sahen Miranda beim Rauchen zu und versuchten, sie aufzumuntern. Vergeblich – sie war und blieb ein Nervenbündel.
»Was ist, wenn sie …?«
»Sie wird dich mögen, du bist ein liebenswerter Mensch«, beruhigte ich Miranda.
»Aber …«
»Sie weiß es. Du hast ihr doch Fotos von dir geschickt.« Ich stutzte, als sie eine betretene Miene zog. »Oder etwa nicht?«
»Doch, doch!«
»Aber?«
Sie druckste herum. »Die Fotos waren etwas älter …«
»Wie alt?«
Statt einer Antwort starrte sie stumm auf die Zigarettenspitze.
»Mit oder ohne Titten?«
Sie sah mich mit einem zerknirschten Augenaufschlag an.
»Miranda!«
»Ich hatte nicht den Mut dazu«, jammerte sie.
»Na prima! Hoffentlich mag sie Überraschungen.«
Manju hob vielsagend die Brauen, während José ein paar Schritte von uns entfernt mit Fiona telefonierte. Um keinen Preis hätte ich jetzt mit ihm tauschen wollen, doch schließlich hatte er sich die Suppe selbst eingebrockt und nicht einmal ich konnte ihm beim Auslöffeln derselben helfen. Zwar gab er sich betont ungezwungen, doch die Anspannung in seiner Stimme war nicht zu überhören. Fiona würde die Sache mit Mo über kurz oder lang rausfinden, wenn er sich nicht mehr Mühe gab. Er hatte es ja selbst gesagt: Frauen waren uns Männern immer einen Schritt voraus. Mindestens.
Manju kam zu mir rüber, legte den Arm um meine Hüfte und schmiegte sich an mich. Als ich sie so nah an mir spürte, war ich froh darüber, wie sich die Dinge gestern Abend entwickelt hatten. Wir mochten unterschiedliche Auffassungen haben, wie unsere Beziehung zu führen war, doch am Ende gehörten Differenzen dazu. Ich wusste, dass ich mich in Geduld üben musste, wenn ich mit ihr zusammen sein wollte – selbst wenn es mir
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