Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
ihrem Handy aufzusehen, drückte sie sich an uns vorbei. Der Samstag war nicht nur der lauteste, sondern auch der unerbittlichste aller Tage im Ausgangsviertel und forderte seinen wöchentlichen Tribut an Tränen. Ich wandte mich um, um der Kleinen hinterherzuschauen, als mein Blick an dem schwarzen Smart hängen blieb, der direkt gegenüber Mirandas Wohnung parkte. Ein Firmenauto, das mit dem Schriftzug eines Fitnessstudios beklebt war.
Meine Mutter war zu Hause und putzte. Es kümmerte sie wenig, dass Sonntag war, ihr Argument lautete, dass ihr unter der Woche kaum Zeit für den Haushalt bliebe, weshalb sie am Wochenende das Allernotwendigste erledigen müsse. Leider sei sie nicht vermögend genug, jemanden dafür anzustellen, und bedauerlicherweise auch nicht mit einer liebevollen Tochter gesegnet, die ihr hilfsbereit zur Hand ging.
Natürlich war ihr Blick bei diesen Worten stets vorwurfsvoll auf mich gerichtet, deswegen hätte ich mir eher die Zunge abgebissen, als dass mir eine missbilligende Bemerkung zu ihrem sonntäglichen Putzfimmel über die Lippen gekommen wäre.
Der Aufenthalt meines Vaters in Indien hatte in der elterlichen Wohnung eine unangenehme Leere hinterlassen, obschon er meist wortkarg in seinem Sessel gehockt war, das Glas Amrut in Griffnähe, die aufgeschlagene Zeitung vor dem Gesicht oder trübselig auf das Cricketspiel im Fernseher starrend. Es fühlte sich an, als wäre etwas nicht mehr komplett.
Meine Mutter versuchte, seine Absenz zu vertuschen, indem sie sich in Hyperaktivität stürzte. Selten sah ich sie ruhig auf dem Sofa sitzen und wenn doch, lief das Radio oder der Fernseher in ohrenbetäubender Lautstärke, manchmal sogar beides. Beim Essen sprang sie immer wieder auf und eilte in die Küche, um Salz zu holen oder nach irgendeinem vor sich hin simmernden Gericht zu sehen, und besuchte ich sie abends nach Ladenschluss, fand ich sie am Telefon oder eifrig Merklisten für den nächsten Tag im Restaurant schreibend. Es war, als fürchtete sie die Stille, das Alleinsein, es schien immer, sie wäre auf der Flucht vor irgendeinem bösen Geist, der sie einholen würde, sobald sie nur eine einzige Sekunde lang ruhig stand.
Ich wusste, wie sehr sie darunter litt, von meinem Vater getrennt zu sein, nach beinahe vierzig Jahren Ehe war das nur normal. Ihre Verlorenheit berührte mich, gerade angesichts meiner Beziehung zu Manju. Ich konnte nur hoffen, dass ich in ein paar Jahrzehnten genauso für sie empfinden würde. Dennoch hatte ich Mister Namboodiri und seine Auswirkungen auf meine Mutter keineswegs vergessen. Wie ein verliebtes Schulmädchen war sie mir vorgekommen, während er mich mit seinem andauernden Kopfgewackel genervt hatte. Erst hatte ich mir eingeredet, dass mich das überhaupt nichts anging, am Ende war die Besorgnis um meine Familie aber doch größer. Allerdings war es kein einfaches Unterfangen herauszufinden, ob die eigene Mutter eventuell eine Affäre hatte. Aber da ich Detektiv war, hoffte ich auf Anzeichen, die mir verrieten, was ich wissen musste, ohne dass ich gezwungen war, direkt nachzufragen. Immerhin hatte ich in dieser Angelegenheit die Oberhand. Dachte ich.
Als Manju kurz im Bad verschwand, nutzte ich den günstigen Moment und sprach meine Mutter auf Mister Namboodiri an.
»Was soll mit ihm sein?«, schnauzte sie mich verärgert an, während sie mit einem Lappen das Küchenfenster sauber rubbelte.
»Das frage ich dich. Er scheint so … galant zu sein.«
Meine Mutter hielt mitten in der Bewegung inne und rümpfte die Nase. »Galant? Was willst du damit antönen?«
»Nichts, gar nichts.«
»Weshalb fragst du dann nach ihm?«
»Er ist in letzter Zeit oft im Laden. Sehr oft.«
»Er ist ein guter Kunde. Und ich habe nicht die leiseste Ahnung, worauf du hinauswillst.«
»Ihr schient so … ihr zusammen … nun …«
» Beta , wenn du mich was fragen willst, tu es!«
Sie hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt und ich hätte gewettet, dass ihr Puls kein bisschen angestiegen war. Stattdessen schwitzte jetzt ich unter ihrem fordernden Blick.
»Ich hatte das Gefühl, ihr versteht euch gut«, stammelte ich. Von wegen Oberhand – ich hatte die Rechnung einmal mehr ohne die indische Mutter gemacht.
»Das tun wir.«
»Wie gut?«
Meine Mutter sprühte Reinigungsmittel auf die nächste Scheibe und begann, die Flüssigkeit mit dem Lappen auf dem Glas zu verreiben.
Es dauerte eine Weile, bis sie weitersprach: »Ich bin mir nicht sicher, ob du mich verstehen
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