Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
auf der Toilette verschwand.
»Ich denke eher, die Situation hat sie überfordert«, wandte Manju ein, die glänzende Äuglein bekommen hatte und ein wenig beschwipst wirkte. Normalerweise trank sie – falls überhaupt – nur wenig Alkohol, doch da heute Sonntag war, hatte sie sich ein Gläschen mehr als üblich gegönnt.
Ich stimmte ihr zu, obwohl ich natürlich ahnte, dass die Übelkeit einen ganz anderen Grund hatte. Ich war gespannt, wie lange Joana wartete, bis sie Miranda ihren Zustand verriet. Sobald sich die anfängliche Aufregung erst mal gelegt hatte, würde diese es ohnehin bemerken. Was mich etwas stutzig gemacht hatte, war einzig, dass Joana nach der Ankunft in Mirandas Wohnung als Allererstes in der Küche verschwunden war, bevor sie sich für längere Zeit im Bad eingeschlossen hatte.
Während Miranda und Manju sich unverzüglich um den kleinen Empfang im Wohnzimmer gekümmert und weder Joanas Umweg, noch ihr anschließendes Verschwinden bemerkt hatten, hatte ich mich doch sehr gewundert, wozu Mirandas Tochter so dringend ein Salatsieb brauchte.
»Vielleicht solltest du mal nachfragen, was mit ihr los ist«, meinte Manju.
Miranda wirkte unschlüssig, schließlich raffte sie sich doch auf und klopfte zaghaft an die Klotür. »Joana? Alles klar bei dir?«
»›Klar‹ ist in solchen Momenten selten der passende Ausdruck«, frotzelte Manju. Ich grinste. Angesäuselt entwickelte sie einen erfrischenden Sarkasmus, der bei ihrer Arbeit im Restaurant oder während den Cateringaufträgen oft zu kurz kam. Vielleicht konnte ich ihr beibringen, etwas lockerer zu werden und nicht alles so bierernst zu nehmen. Ich wusste, wie wichtig ihr die Karriere war, ihre Selbstständigkeit auch, doch ich fand, mit einer Prise Humor ließ sich das Leben leichter bewältigen. Bei ihrer Kundschaft würde das garantiert auch ankommen.
Ich folgte Manju in die Küche, wo sie eine weitere Packung Pizzahäppchen aus dem Tiefkühler holte und in den Ofen schob. Während wir warteten, legte ich meine Arme um sie und zog sie an mich. Ich wollte sie gerade küssen, als Miranda im Türrahmen auftauchte. Sie sah verstört aus und war leichenblass.
»Was ist mit dir?«, erkundigte sich Manju besorgt.
»Nichts.«
»Sieht aber anders aus«, wandte ich ein.
»Ihr müsst jetzt gehen. Ich will mit Joana allein sein, wir haben etwas Wichtiges zu besprechen.«
Joana hatte es ihr gesagt. Die Tatsache, dass von nun an neunundzwanzig als Altersangabe nicht mehr glaubwürdig wirkte, musste Miranda komplett aus der Bahn geworfen haben, wahrscheinlich mehr noch als die Tatsache, dass sie Großmutter wurde. In ihrem Lebenskonzept war zweifelsohne keines von beidem vorgesehen.
»Aber …«
»Machen wir uns aus dem Staub«, unterbrach ich Manjus Einwand. »Ich erklär’s dir draußen.«
Ich hatte den Arm um Manjus Schulter gelegt, als wir in den gleißend hellen Sonntagnachmittag hinaustraten. Das Quartier wirkte wie narkotisiert, die Straßen waren menschenleer und es herrschte eine ungewohnte Ruhe. Ein weiterer Samstagabend war vorüber, das lärmende Partyvolk war längst in die Hochhaussiedlungen der Vororte zurückgekrochen, nur die Spuren der vorigen Nacht waren noch nicht gänzlich beseitigt: Auf dem Gehsteig zersplitterte Flaschen und Zigarettenstummel, einsam lag ein schmutziger Frauenschuh in einem Hauseingang. Aus einem Fenster sah uns eine dunkelhäutige Prostituierte hinterher, zwischen ihren langen Fingernägeln steckte ein Joint, ihre Haare waren auf bunte Lockenwickler gedreht. Man war wieder unter sich.
»Ich habe den starken Verdacht, dass Joana schwanger ist.«
Manju blieb stehen und starrte mich an. »Unsinn!«
»Aber wenn ich’s sage! Im Parkhaus hatte sie Krämpfe und danach rannte sie die ganze Zeit aufs Klo.«
»Das bedeutet überhaupt nichts. Sie sah nicht schwanger aus, zumindest nicht in meinen Augen. Eher elend, als hätte sie etwas Schlechtes gegessen. Und womöglich steht sie noch unter Schock, was man ihr wirklich nicht übel nehmen kann. Da siehst du nach neunzehn Jahren zum ersten Mal deinen Papa und der erinnert dich in erster Linie an Jackie O. Da wäre manch harter Kerl eingeknickt!«
Vielleicht hatte Manju recht, ich kannte mich mit Schwangerschaften definitiv zu wenig aus.
Als wir uns der Langstrasse näherten, die den Kreis 4 schnurgerade durchtrennte, kam uns ein verheultes, knapp zwanzigjähriges Mädchen entgegen. Ihr Make-up war verschmiert und aus der Nase lief ihr der Rotz. Ohne von
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