Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
waren und einen wesentlich vertrauteren Eindruck machten als zuvor. Einkaufstouren waren für Frauen, was Bars für uns Männer waren: Nach dem dritten gemeinsam aufgesuchten Laden hielt die Freundschaft ein Leben lang.
Unter diesen besonderen Umständen war es vielleicht verfrüht, bereits von Freundschaft zu sprechen, doch die Dinge entwickelten sich definitiv in die richtige Richtung.
Ich bestellte beim Kellner, dessen Berner Akzent so breit war wie sein Nacken, eine Runde Hugo , da meine Begleiterinnen mich zum neuen Trenddrink überredet hatten.
Während die beiden die einheimischen Jungs begutachteten und mit einigem Wohlwollen kommentierten, machte ich mir Gedanken zu meinem nächsten Schritt.
Optimistisch wie ich war, hatte ich darauf gebaut, die Unterlagen zu Noemis Adoption in Grüningers Wohnung zu finden. Doch einmal mehr hatte sich die Spur als Sackgasse entpuppt. Mittlerweile war ich es zwar gewohnt, doch in diesem Fall war die Rate so hoch und nervtötend wie noch nie zuvor.
Und wenn ich richtig Pech hatte, hatte Grüninger die Akten längst vernichtet, bevor ihn Sánchez hatte ausfindig machen und umbringen können.
An einen Selbstmord Grüningers glaubte ich irgendwie nicht. Er war unerkannt in der Schweiz abgetaucht und besaß genügend Geld, zudem hatte er eine junge Frau und einen kleinen Sohn, daneben gehörten ihm eine luxuriöse Stadtwohnung und ein teures Chalet im Berner Oberland. Auf den ersten Blick erkannte ich nichts, was einen berechnenden und skrupellosen Mann wie ihn in den Suizid hätte treiben können.
Nun blieb mir einzig die magere Hoffnung, dass seine Frau von den Unterlagen wusste oder mir wenigstens über den Inhalt des Aktenschranks und dessen Verbleib Auskunft geben konnte. Beides hielt ich für eher unwahrscheinlich und bezweifelte stark, dass mich ein Ausflug ins Berner Oberland meinem Ziel näher bringen würde.
Doch da ich noch viel weniger daran glaubte, dass mir der Inhaber dieses Putzinstituts, ein gewisser Claudio Moretti, weiterhelfen konnte, würde mir wohl oder übel nichts anderes übrig bleiben. Dieser aussichtslose Auftrag zwang mich, nach dem kleinsten Strohhalm zu greifen. Aber immerhin begab ich mich bei meiner Arbeit nicht mehr in Gefahr.
Dachte ich.
Es war einmal ein hübsches Mädchen mit langen blonden Haaren, das die tollsten Freundinnen hatte, an Weihnachten für die stolz versammelte Familie auf der Blockflöte spielte und im Mittelpunkt jeder Schulfeier stand. Dieses Mädchen hatte eine kleine struppige verwaiste Cousine, die man nur widerwillig im Clan aufgenommen hatte. Das arme Geschöpf musste im Haushalt die dreckigsten Arbeiten erledigen und kam Besuch, sperrte man sie im Keller ein.
Genauso verhielt es sich mit Bern und Bümpliz. Zwar gehörte der Bezirk im Westen Berns noch zur Stadt, doch er erweckte den klassischen Eindruck eines stiefmütterlich behandelten Vorortes. Graue Hochhausquartiere aus den Fünfzigern, Industriebetriebe, hässliche Lagerhallen und ein Ausländeranteil von knapp dreißig Prozent machten Bümpliz nicht gerade zur begehrtesten Adresse in der Region.
Die Putzfirma Moretti Reinigungen hatte sich in einem unansehnlichen Gewerbegebäude an der Morgenstrasse nahe der Autobahnauffahrt eingemietet, einem Bauwerk, das vor allem durch die schuppenartige Verschalung der Fassade in einer bestenfalls an Schokoladenmilch erinnernden Farbe auffiel. Jemand, der an einer fatalen Sehschwäche litt oder felsenfest davon überzeugt gewesen sein musste, dass diese beiden Farbtöne zusammenpassten, hatte im obersten Stockwerk und über dem Eingang mit Dunkelblau versucht, Kontraste zu setzen.
Doch bevor ich Moretti aufsuchte, musste ich notfallmäßig an der benachbarten Tankstelle anhalten und meine beiden Begleiterinnen aussteigen lassen. Die paar Gläser Hugo zuvor hatten einen ungünstigen Einfluss auf deren Verdauungsprozess ausgeübt, sodass Miranda bereits im Parkhaus zu jammern begonnen hatte, sie müsse dringend aufs Klo, kurz darauf war Joana in ihr Quengeln eingefallen.
»Salatsieb!«, rief ich ihnen nach, während sie aus dem Wagen stürzten und sofort die öffentliche Toilette neben dem Tankstellenshop anvisierten. Mit einer verkniffenen Grimasse machte Miranda kehrt und schnappte sich wortlos das Küchenutensil aus ihrer Reisetasche.
Erleichtert lenkte ich den Käfer vor das Gebäude nebenan. Der Transport von Fingerlingen war keineswegs ungefährlich, platzte eines der Würstchen, blieben dem Bodypacker nur
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