Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
herausgefunden hatte, was so ungewöhnlich war. Prüfend fuhr ich mit dem Zeigefinger über das oberste Tablar des Bücherregals und tatsächlich: Er war sauber geblieben. Die gesamte Wohnung war sauber. Keine Flusen in den Ecken, keine staubbedeckten Flächen, der Bildschirm des Computers spiegelte frisch poliert, die Blätter des Gummibaums glänzten und auch dieser abgestandene Geruch ungelüfteter Räume fehlte. Erstaunlich für eine Unterkunft, die sozusagen nie benutzt wurde.
»Wer reinigt das Apartment, wenn die Familie nicht hier ist?«
»Ein Putzinstitut …« Angestrengt dachte Frau Morlot nach, schüttelte aber dann resigniert den Kopf. »Ach, der Name fällt mir gerade nicht ein. Ein netter Mann, ein Italiener, der mit seinem Angestellten ein Mal die Woche sauber macht. Ich habe mir seine Adresse notiert. Wenn Sie wollen, kann ich die Notiz schnell holen.«
»Sehr gern.«
Die Morlot trippelte aus dem Büro und ich nutzte die günstige Gelegenheit, um mir die Aktenschränke genauer anzusehen. Im ersten fanden sich ein Dutzend wissenschaftlich aussehender Bücher und einige wenige Ordner. Eilig blätterte ich die Unterlagen durch und stieß dabei auf alte Steuerunterlagen, Kaufverträge von Immobilien, Kontoauszüge und private Ablagen. Kinderhandel lohnte sich offensichtlich. Einzig die Verträge konnten möglicherweise von Nutzen sein, falls Grüninger Noemis Akte in einer anderen Liegenschaft versteckt hatte. Ich riss die entsprechenden Dokumente heraus und steckte sie ein. Als ich den zweiten Schrank öffnen wollte, stellte ich fest, dass er verschlossen war.
»Der Schlüssel befindet sich im Übertopf des Gummibaums«, erklärte Annemarie Morlot beiläufig, als sie zurückkehrte, und errötete leicht. Sie händigte mir die Anschrift des Putzinstituts aus und nachdem ich einen Blick darauf geworfen hatte, steckte ich den Zettel ein.
»Madame Tschanz hat in diesem Raum seit dem Tod ihres Mannes sozusagen nichts verändert. Jedes Mal, wenn ich sie sehe, sagt sie, sie müsse endlich mal das Bureau räumen, aber bislang ist sie nicht dazu gekommen .«
»Hm.« Ich ging vor dem Gummibaum in die Knie und fuhr mit der Hand im Spalt zwischen Übertopf und Pflanzenkübel herum, bis ich den Schlüssel ertastet hatte. Zu meiner Enttäuschung war der zweite Schrank jedoch bis auf einige weitere medizinische Nachschlagwerke leer. Um den Frust zu überspielen, trat ich an den Schreibtisch und öffnete aufs Geratewohl eine Schublade.
»Dort finden Sie Ihre Unterlagen garantiert nicht«, bemerkte Frau Morlot wieder in diesem beiläufigen Ton, während sie einen Briefbeschwerer auf der Tischfläche verschob.
Ich guckte sie mit gespielter Empörung an, worauf sich ein ertapptes Lächeln in ihre Gesichtszüge schlich.
»Und auch sonst gibt es nichts Spannendes in der Wohnung zu entdecken, nehme ich an?« Ich war mir sicher, die neugierige Annemarie hatte bereits im hintersten Winkel dieses Apartments herumgeschnüffelt und hätte mir zu verstehen gegeben, wo ich irgendwelche Akten finden würde.
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
»War der Schrank schon immer leer?«, hakte ich nach.
»Seit ich den Schlüssel habe, ja. Aber den hat mir Frau Tschanz erst nach dem Tod ihres Mannes gegeben, weil sie von dem Zeitpunkt an kaum noch hierherkam. Was zuvor war – aucune idée. Aber erkundigen Sie sich bei dieser Reinigungsfirma. Die machen da schon sauber, seit die Tschanzens eingezogen sind.« Die Morlot deutete mit der Fingerspitze in Richtung meiner Hosentasche, in die ich den Zettel geschoben hatte, und zog auffordernd ihre aufgemalten Augenbrauen hoch.
Es gab viele Möglichkeiten, Weltläufigkeit und Behagen zu kombinieren, und die meisten dieser Versuche scheiterten meines Erachtens, gerade wenn diese ganz spezielle Stimmung in Bars oder Cafés angestrebt wurde. Ganz anders das Einstein Kaffee & Rauchsalon , wie es sich mit vollem Namen nannte.
Untergebracht im Erdgeschoss des Wohnhauses, in dem Albert Einstein zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts kurze zwei Jahre gewohnt hatte, überzeugte das Lokal mit freigelegten Gewölbemauern und warmen Brauntönen der Möblierung. Holzverkleidungen dominierten Theke und Ausschank und ein offener, im Sommer natürlich nicht benutzter Kamin sorgte für Wohnzimmerambiente. Im vorderen Teil verleitete ein zugemauerter Durchgang zu unheimlichen Spekulationen.
Hier traf ich auch Miranda und Joana an, die von ihrem Shoppingausflug mit etlichen Tüten zurückgekehrt
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