Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
wenige Augenblicke, bevor er das Zeitliche segnete. Doch nun musste ich mir keine Sorgen mehr machen, die beiden Damen würden in Kürze im wahrsten Sinn des Wortes wieder drogenfrei sein.
Moretti, ein rundlicher, gutmütig wirkender Mann mit Glatze, war gerade im Begriff, seinen Laden dichtzumachen, als ich das kleine Büro im Erdgeschoss betrat. Er verwies mich sogleich an seinen Mitarbeiter, der im Lager nebenan sei, aber jeden Augenblick zurückkommen würde. Dieser wäre für Tschanz’ Wohnung zuständig. Moretti selber mache nur noch Supervision, der Berger schaffe die Aufträge mittlerweile ganz gut allein.
Bevor ich nachfragen konnte, was es mit dem ›mittlerweile‹ auf sich hatte, kam Christoph Berger zur Tür herein.
Ich schätzte ihn auf Anfang sechzig, ein schlaksiger Typ im Blaumann und weißem T-Shirt, der wohl wegen seiner Körpergröße leicht gebeugt ging.
»Hm, Tschanz an der Junkerngasse?«, fragte er zurück, nachdem ich mich bei ihm vorgestellt und mein Anliegen vorgebracht hatte. »Der ist ja schon länger verstorben. Seine Frau kommt hin und wieder nach Bern, aber ich sehe sie sozusagen nie.« Unsicher blickte er zu seinem Chef hinüber, der seinen Computer runterfuhr und dabei leise vor sich hinpfiff.
»Ihr Chef hat mir gesagt, dass Sie für die Reinigung dieser Wohnung zuständig sind.«
»Das ist richtig.«
»Haben Sie Zugang zu den Aktenschränken?«
»Nur zum einen, der andere ist verschlossen.« Sein Blick irrte umher, als wagte es Berger nicht, mir direkt in die Augen zu sehen. Zu Beginn unseres Gesprächs hatte ich ihn wegen seiner ablehnenden Haltung und dem fehlenden Lächeln einfach für mürrisch gehalten. Doch jetzt, nachdem ich ihn genauer studiert hatte, stellte ich fest, dass der Mann ausgebrannt war. Wie jemand, dem alle Lebensfreude abhandengekommen war, wirkte er. Er sprach langsam, als würde ihn jedes Wort ungeheure Überwindung kosten, seine Gesichtshaut wirkte grau und schlaff.
»Tschanz wollte nicht, dass ich im Arbeitszimmer saubermachte. Das sei privat, hat er mir schon am ersten Tag erklärt.«
»Und Sie haben nie gesehen, was in dem Schrank war? Hat Tschanz ihn vielleicht mal in Ihrer Anwesenheit geöffnet?«
»Nein, nie.«
Wie ich mir gedacht hatte: Eine weitere Fährte, die ins Leere führte. Mir blieb nichts anderes übrig, als ins Berner Oberland zu Grüningers Witwe zu fahren.
»Wonach suchen Sie denn?«, erkundigte sich Berger und sein Gesichtsausdruck kam mir mit einem Mal verändert vor. Irgendwie lauernd.
»Nichts wirklich Wichtiges, ein paar Akten, das ist alles.« Ich hatte ihm nur das Allernötigste mitgeteilt, was diesen Fall betraf, und dabei wollte ich es auch belassen.
»Vielleicht kann Ihnen seine Frau weiterhelfen. Sie wohnt die meiste Zeit in Gstaad, wo sie ein Chalet …«
»Ich weiß«, unterbrach ich Berger unwirsch.
»Ach so.« Unschlüssig guckte er mich mit seinen wässrigen Augen an. »Also wenn Sie keine Fragen mehr haben, würde ich gern nach oben in meine Wohnung …«
»Natürlich, gehen Sie ruhig. Und vielen Dank für Ihre Zeit.«
Niedergeschlagen blieb ich vor der Tür des Gewerbehauses stehen und sehnte mich mit einem Mal nach einer Zigarette. Frau Tschanz war meine allerletzte Hoffnung, doch noch an die Unterlagen zu gelangen. Eine knapp neunzigminütige Fahrt. Wenn wir uns beeilten, kamen wir rechtzeitig zur Apérozeit an und waren dann gezwungen, auf Irene Winters Rechnung in einem dieser luxuriösen Wellnesshotels zu übernachten. Argumente, mit denen ich meine Beifahrerinnen zu überzeugen gedachte, sobald sie von der Toilette zurückkehrten.
Mit dem Ziel, nach den beiden zu sehen und mir bei der Gelegenheit eine Packung Parisienne zu besorgen, schlenderte ich die wenigen Meter zur Tankstelle hinüber. Der blaue Bär fiel mir erst auf, als ich bereits vor dem Eingang des Shops stand. Er lachte mich von einem Van an, der direkt gegenüber vor der Längsseite des Gebäudes stand, in dem Morettis Unternehmen untergebracht war. Vor ihm parkte ein anderer Transporter, was der Grund war, weshalb ich ihn vorher nicht entdeckt hatte.
Moretti Reinigungen. Ein weißer Lieferwagen, auf dem mit blauer Schrift etwas auf Italienisch stand, dazu ein lachender Bär, ebenfalls in Blau. Er hielt einen Wischmopp in seinen Pranken, neben ihm war ein überschwappender Eimer abgebildet. So hatte Dragana den Camion geschildert, der ihr am Morgen des achtzehnten Junis vor dem Anwesen der Winters aufgefallen war. Ein älterer Mann
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