Familienscheiße: Wir hassen sie, wir lieben sie - Geschichten über die, die uns am nächsten stehen
ich gerne fütterte. Ich mochte den Geruch des Hühnerfutters und fand es spannend, frisch gelegte braune Eier mit dran klebenden Federn aus den Nestern zu holen. Ich mochte das Gefühl dieser Eier in meiner Hand. Im Garten futterte ich mich durch die Beete, am liebsten aß ich Lauch. In dem großen Haus wohnte auch Dieters Mutter, meine Ersatzoma. Und sie war wirklich nett. Es hätte wirklich schön sein können mit Dieter. Aber Dieter war eben ein Dieter.
Wenn meine Mutter und ich zu Hause in unserer eigenen Wohnung waren, besuchte uns Dieter oft. Eigentlich war es soweit okay mit ihm. Aber ich hatte immer irgendwie Angst vor ihm. Mir hat er nichts getan. Aber er war impulsiv und bei jeder Kleinigkeit behandelte er meine Mutter grob, schubste sie, schlug sie. Mir brach es fast das Herz. Meine Mutter konnte sich nicht gegen ihn wehren. Und ich konnte auch nichts tun. Ich war fünf Jahre alt. Was sollte ich schon ausrichten können?
Eines Tages holte meine Mutter mich gut gelaunt vom Kindergarten ab, und als wir zu Hause ankamen, überreichte sie mir freudestrahlend ein kleines Geschenk. Dabei hatte ich gar nicht Geburtstag. „Da, für meinen kleinen, lieben Jungen!“ sagte sie, und umarmte mich. Ich war ganz überwältigt, womit hatte ich das denn verdient? Wie jedes Kind liebte ich Überraschungen und Geschenke. Ich packte das Geschenk aus und hielt eine orangene Spielzeugpistole in der Hand. „Danke, Mama!“ sagte ich verdattert, ich freute mich riesig. Das war genau das richtige für einen kleinen Jungen. Meine Mutter zeigte mir, wie das Ding funktionierte. Man konnte die Pistole mit kleinen weißen Bällen laden, und über den Abzug schoss man dann die Bälle mit Vollkaracho durch die Gegend. Es war zu lustig. Meine Mutter und ich lachten und kicherten. Wir hatten richtig Spaß. Ich freute mich sehr über mein neues Spielzeug, aber viel mehr machte mich dieser Moment glücklich. Meine wundervolle Mama und ich, ausgelassen und kichernd tobend. Es war schön, meine Mutter so lachen und so ausgelassen zu sehen. Sie konnte herrlich albern sein, und das liebte ich so an ihr. Wir schossen die Bälle mit der Pistole immer wieder durch die Wohnung, und die Bälle dotzen überall an, sprangen lustig hin und her, über den Tisch, über das Bett, über die Stühle. Wir hielten uns die Bäuche vor Lachen. Es war so ein schöner Abend.
Plötzlich ging die Tür auf und Dieter kam herein. Er sah uns grimmig an, kam wortlos auf uns zu, riss meiner Mutter meine neue Spielzeugpistole aus der Hand, schmiss sie auf den Boden und zertrat sie mit seinen riesigen Schuhen. Meine neue Pistole zerbarst und zersplitterte. Es krachte und knirschte. Ich war fassungslos. Er sagte kein Wort. Wir sagten kein Wort. Meine Mutter und ich waren nur schockiert. Bis heute frage ich mich, warum er das getan hat, und wie man so boshaft sein kann. Wann immer ich an diese Situation denke, schießen mir Tränen in die Augen und ich bin unsäglich traurig. Wer macht denn sowas?! Welcher Erwachsener macht das Spielzeug eines Kindes, noch dazu seines Quasi-Stiefkindes, absichtlich kaputt? Und dann noch auf eine solch brutale Weise? Nicht nur, dass er mein neues Spielzeug, über das ich mich so gefreut hatte, mutwillig zerstörte. Viel schlimmer als das war, dass er den magischen, liebevollen und ausgelassenen Moment zwischen meiner Mutter und mir kaputt machte und jäh beendete. Es war so demütigend.
Meine Mutter hatte dem nichts entgegen zu setzen. Eingeschüchtert saß sie da. Und ich spürte deutlich, dass sie Angst hatte, er würde auch auf sie losgehen. Ich weinte bitterlich. Ich weinte vor allem deshalb, weil ich nichts gegen diesen Scheiß-Typen unternehmen konnte. Ich weinte, weil ich spürte, wie ausgeliefert meine Mutter diesem Typen war. Ich weinte, weil ich alle Männer hasste, denn ich hatte bisher nur komische Typen kennengelernt. Ich war unfassbar traurig und entsetzt über diese Gemeinheit. Es war so ungerecht, ich fühlte mich so hilflos.
Ich erinnere mich nicht mehr daran, was danach geschah. Ich weiß nur noch, wie geschockt und traurig ich war, und noch heute sehe ich diesen bärtigen Dieter vor meinen Augen, wie er in unser Zimmer stürmt und mit einer derart bösartigen Wucht alles zerstört. Ich höre noch immer das krachende Geräusch der zerberstenden Spielzeugpistole in meinen Ohren.
Irgendwie schaffte es meine Mutter, sich irgendwann von diesem Typen zu trennen. Wie, das weiß ich nicht mehr. Wir zogen in eine
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