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Familienscheiße: Wir hassen sie, wir lieben sie - Geschichten über die, die uns am nächsten stehen

Familienscheiße: Wir hassen sie, wir lieben sie - Geschichten über die, die uns am nächsten stehen

Titel: Familienscheiße: Wir hassen sie, wir lieben sie - Geschichten über die, die uns am nächsten stehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henriette Frädrich
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mir das wie Hohn vor. Natürlich tat ich so, als würde ich mich freuen. Doch am liebsten hätte ich ihnen ihr Besteck (was zudem auch noch ziemlich hässlich war) um die Ohren gehauen.
    Den Vogel schossen aber meine Eltern ab. Als ich mich von dem Schock mit dem Besteckkasten erholte, musste ich für mein zweites Geschenk ziemlich tapfer sein. Meine Mutter überreichte mir ein verpacktes Buch, es war nicht schwer, das als solches zu erkennen. Ich packte es aus und hielt den Titel „Deutschland, deine Kanzler – Die Geschichte der Bundesrepublik 1949 bis 1999“ in den Händen. Verwirrt schaute ich meine Mutter an. Ihr Kommentar: „Für deine Bildung.“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. War das ein Scherz? Meine Familie war gern mal zu Scherzen aufgelegt. War darin ein Geldschein versteckt? Oder sonst ein Hinweis auf ein anderes Geschenk? Ich versuchte, Contenance zu bewahren. Ich konnte die Situation nicht wirklich einordnen. War das jetzt deren Ernst? Dann wäre es peinlich, wenn sie merkten, dass ich nach einem „echten, richtigen“ Geschenk suchen würde. Doch es war so. Ich bedankte mich stammelnd, war aber fast dem Heulen nahe. Jahrelang funktionierte ich, schmiss den Haushalt, war Babysitter für meine kleine Schwester und brachte nebenbei noch Top-Noten nach Hause, und das war die Anerkennung für mein Spitzen-Abitur. Ein DDR-Besteck-Set und ein Buch über Deutsche Kanzler. Versteckte Kamera, wo bist du?
    Es war nicht so, dass meine Eltern sich teure Geschenke nicht hätten leisten können. Wären wir arm gewesen, hätte ich vielleicht sogar Verständnis dafür gehabt. Aber dem war nicht so. Meine Eltern waren beide berufstätig und verdienten gut. Und ich will auch nicht undankbar sein, aber ich kam mir schon ziemlich blöd vor. Während meine Mitschüler für ihre Durchschnitts-Abschlüsse gefeiert und fürstlich belohnt wurden, stand ich fleißiges, braves Lieschen mit einem Hohn an Geschenk in den Händen da. Ich fühlte mich verarscht.
    Die Zuwendung ließ auch sonst zu wünschen übrig. Magdalena hatte ja immer tolle Nebenjobs, wo sie viel Geld verdiente. Sie stand schon früh auf eigenen Beinen, berichteten meine Eltern immer stolz. Für finanzielle Unterstützung während meines Studium musste ich wochenlang kämpfen. Ich bekam einen lächerlichen Zuschuss von meinen Eltern. Mein Geld reichte hinten und vorne nicht, was dazu führte, dass ich ständig pleite war, mir Geld von Kommilitonen leihen musste und tagelang nur von Gemüsebrühe mit Reis leben konnte. Meine Eltern um mehr Geld zu bitten, traute ich mich nicht. Ich war zu wütend, zu enttäuscht. Und steckte in der Falle, allein durch die Erwartungen, die meine Familie an mich hatte, dass ich immer alles schaffen musste, dass ich immer zu funktionieren hatte, das auch selbst zu glauben und mich schlecht und wie ein Versager zu fühlen, wenn ich mal etwas nicht auf die Reihe bekommen würde.
    Das Besteckset verschenkte ich an meinen Ex-Freund, der in seine erste eigene Wohnung zog. Er war dankbar. Immerhin einer.
    Das Kanzler-Buch steht noch heute in meinem Bücher-Regal. Irgendwann haue ich es meiner Mutter um die Ohren.

Ich fahre vor dir vor!
    Das kleine Mädchen
    Gudrun, 51, selbständige Finanzberaterin
     
    Mein Vater, Jahrgang 1930, war ein Tyrann. Und er ist es bis heute. Er hielt und hält sich für den Mittelpunkt der Welt, verkaufte sich immer als der allwissende Mann von Welt, war aber in Wirklichkeit der kleingeistigste Mensch, den ich kannte. Seine Launen waren unerträglich, genauso wie seine Pamphlete darüber, wie die Welt seiner Meinung nach funktioniert. Er war in der Lage, mit seiner schlechten Stimmung die ganze Luft, die ganze Atmosphäre um sich herum zu verpesten. Wenn mein Vater schlechte Laune hatte, ließ er gütigerweise die ganze Welt um sich herum daran teilhaben. Das äußerte sich darin, dass er alle Menschen um sich herum mit Ver- und Nichtachtung strafte. Oder aber er flippte völlig unkontrolliert aus, redete sich in Rage, wurde auch gern handgreiflich, und der Zorn in ihm ließ ihn puterrot anlaufen.
    Dabei war meist völlig unklar, was genau ihn nun auf die Palme brachte. Die Ursachen seiner schlechten Laune konnten vielfältig sein. Und für Außenstehende läppisch. Aber ihn brachte schnell so allerhand in Rage. Wenn man zu spät kam. Wenn man das Essen nicht aufaß. Doch am schnellsten flippte er aus, wenn etwas nicht so lief, wie er es geplant hatte. Oder jemand schlichtweg eine andere Meinung

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