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Familienscheiße: Wir hassen sie, wir lieben sie - Geschichten über die, die uns am nächsten stehen

Familienscheiße: Wir hassen sie, wir lieben sie - Geschichten über die, die uns am nächsten stehen

Titel: Familienscheiße: Wir hassen sie, wir lieben sie - Geschichten über die, die uns am nächsten stehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henriette Frädrich
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andere Stadt, und es war nie mehr die Rede von ihm. Eine neue Pistole habe ich nie bekommen. Irgendwann, als ich schon längst erwachsen war, ließ sie beiläufig fallen, dass sie sogar verlobt war mit diesem Mann. Sie wollte diesen Menschen tatsächlich heiraten. Ich bin bis heute dem lieben Gott dankbar, dass er das abwenden konnte.

Zum Einser-Abitur ein Buch
    Die Zu-Kurz-Gekommene
    Magdalena, 32, Journalistin
     
    Ich war schon immer ein braves, liebes Mädchen. Ich eckte nicht an, tat, wie mir befohlen wurde, folgte im wahrsten Sinne des Wortes. Einen Fehler zu machen oder aufzufallen, weil ich „etwas böses“ tat, war mir höchst unangenehm. Ich war fast unsichtbar. Und ich benahm mich wie „Annika“ aus „Pippi Langstrumpf“. Alles korrekt machen, immer lieb zu Mami und Papi sein, ja nichts machen, was man nicht darf.
    Zwei meiner „Traumata“ fanden im Kindergarten statt. Ich war schon immer eine unruhige Schläferin, zappelte und hampelte hin und her. Beim gemeinsamen Mittagsschlaf, überwacht von den Erzieherinnen, schimpften diese mit mir, weil ich nicht still halten konnte. Dann schickten sie mich mit meiner Holzpritsche und der kratzigen Decke in ein anderes Zimmer, wo ich zur Strafe allein weiter schlafen sollte. Statt mich zu freuen, dass ich nun endlich meine Ruhe hatte, schämte ich mich unendlich. Ich schämte mich, weil ich offenbar einen großen Fehler gemacht hatte. Ich schämte mich, weil ich vor den anderen Kindern ausgeschimpft wurde. Normalerweise mussten immer nur die bösen Jungs, die ständig Unfug anstellten, allein im Nebenzimmer schlafen. Und nun gehörte ich dazu. Ich war genauso böse wie die bösen Jungs. Dabei hasste ich diese bösen Jungs, die immer Krach machten und andere Kinder schlugen. Und ich hatte solche Angst vor ihnen. Ich schämte mich vor allem auch, wenn die Erzieherinnen am Abend meiner Mutter erzählen würden, was passiert war. Und dann wäre meine Mutter enttäuscht, und würde auch mit mir schimpfen. Ich weinte bitterlich. Ich schwor mir, nie wieder anzuecken und fortan still zu halten beim Schlafen. Ich wollte allen beweisen, dass ich auch ohne zu zappeln schlafen kann.
    Natürlich hatte ich mich völlig umsonst verrückt gemacht. Als meine Mutter mich abholte, rannte ich weinend auf sie zu und erzählte ihr sofort, dass heute etwas ganz schlimmes passiert sei. Und dass ich nicht artig war und ich deshalb allein schlafen musste. Die Erzieherinnen blickten mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Bitte Mama, sei nicht traurig, schimpf nicht mit mir, das kommt nicht wieder vor. Versprochen!“. Ich kuschelte mich an sie. Und zu meiner Überraschung schimpfte sie gar nicht, sondern sagte nur „Aber das ist doch gar nicht schlimm. Komm wir gehen nach Hause.“ Ich war perplex und unendlich erleichtert. Meine Mama störte das gar nicht! Es machte ihr gar nichts aus! Sie war nicht enttäuscht und hatte mich auch immer noch lieb!
    Ein anderes Mal, als ich mich unendlich schämte, war, als ich meinen vierten Geburtstag feierte. Ich war im Kindergarten, und zur Feier des Tages bekam ich eine Papier-Krone aufgesetzt, wir guckten Märchen-Dias an, und ich durfte Gummibärchen verteilen. Die Erzieherin schüttete die Gummibärchen auf einen Teller und ich durfte durch die Stuhlreihen gehen und sie an die anderen Kinder verteilen. Dabei war ich so aufgeregt, weil ich schon wieder Angst davor hatte, etwas falsch zu machen. Vor allem war mir auch deshalb so unbehaglich zu Mute, weil ich es nicht mochte, dass ich nun im Mittelpunkt stand, die Kinder mich ganz genau beobachteten. Und natürlich passierte es denn auch: Ich stolperte und schüttete die ganzen Gummibärchen auf den Boden. Ich wollte im Boden versinken, so peinlich war mir das Ganze. Und auch beim Aufsammeln der Gummibärchen stellte ich mich völlig deppert an. Als dann noch die Erzieherin über meine Tolpatschigkeit schimpfte, gab mir das den Rest. So sehr ich es immer toll fand, wenn andere Kinder im Kindergarten Geburtstag hatten, sie gefeiert wurden und man sie hochleben ließ, so sehr nahm ich mir vor, beim nächsten Geburtstag nicht in den Kindergarten zu kommen. Mir war das zu viel. Ich wollte lieber im Hintergrund bleiben. Da konnte ich keine Fehler machen.
    Die Angst, anzuecken oder Fehler zu machen, zog sich weiter durch mein Leben. Das beste Mittel dagegen war, immer alles richtig zu machen. Und so erfüllte ich zu Hause, auch als Teenager, meine häuslichen Pflichten, kochte mein Essen selbst,

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