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Familienscheiße: Wir hassen sie, wir lieben sie - Geschichten über die, die uns am nächsten stehen

Familienscheiße: Wir hassen sie, wir lieben sie - Geschichten über die, die uns am nächsten stehen

Titel: Familienscheiße: Wir hassen sie, wir lieben sie - Geschichten über die, die uns am nächsten stehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henriette Frädrich
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hatte als er. Und da er nun mal in vielen Dingen eine, sagen wir so, interessante Meinung hatte, war es nicht schwer, in fast allen Dingen anderer Meinung zu sein als er. Aber das ließ er nicht gelten. Er stellte sich zwar immer so dar als jemand, mit dem man angeregt diskutieren könne. Gern verhöhnte er mich oder meine erwachsene Tochter, seine Enkelin, dass wir zu nichts eine Meinung hätten, und man müsse doch heutzutage eine Meinung haben und zu den Dingen Position beziehen. Doch wir wussten es besser und taten genau das nicht. Denn er konnte jede Sekunde ausflippen, zu jeder Zeit, wie ein Vulkan. Er war absolut impulsiv, herrisch und selbstgefällig. Die anderen waren immer die blöden, nur er natürlich nicht. Sein Weltbild war düster.  „Wenn wir doch alle wüssten, was noch schlimmes auf uns zukommt!“, pflegte er gern zu sagen, und dann schimpfte er auf alles und jeden. Über die Politik, über den Kapitalismus, über unfähige Ärzte, über den bescheuerten Nachbarn, über die renitente Enkelin, über den unmöglichen Schwiegersohn. Alle doof. Nur er nicht.
    Das führte dazu, dass die wenigen Familienmitglieder, die ihm aus Loyalität die Treue hielten, stets in vorauseilendem Gehorsam agierten, lieb, nett und brav waren, nicht aneckten, immer darauf bedacht, ja kein falsches Wort zu sagen, ja nicht das falsche Thema anzusprechen und ihn bloß nicht zu animieren, irgendwelche Reden zu irgendwelchen Themen zu schwingen. Familienbesuche arteten in unerträgliche Qualen aus. Wir taten nach außen lebendig, gaben immer wieder ein geheucheltes „Achja?“ oder „Hm, interessant“ von uns, schalteten uns aber innerlich ab und auf Durchzug. Es war, als würden wir die Luft anhalten, die ganze Zeit über, die wir da waren. Wenn wir die ganze Chose überstanden hatten und vom Hof fuhren, absolute Erleichterung und Schreien. Und der Schwur, nie wieder dort hin zu fahren. Wissend, dass wir es doch wieder tun werden. Denn sich von seinen Eltern loszusagen, ist quasi unmöglich. Das kann man doch nicht machen, oder? Oder doch?
    Insgeheim hoffte ich immer auf den großen Eklat, um endlich meine Meinung sagen zu können. Ich wollte einen Grund haben, den Kontakt ein für alle mal abzubrechen. Ich wartete auf den Auslöser. Doch darf man als erwachsene Tochter seine Eltern verlassen, wenn man sie nicht mehr ertragen kann? Ich fühle mich gequält, so oder so. Ich fühle mich gequält, wenn ich bei ihnen bin und nie das Gefühl einer Herzlichkeit, von Wärme oder Stolz spüre. Von Liebe gar nicht zu sprechen. Es geht immer nur um Belanglosigkeiten und Belehrungen. Ich fühle mich gequält, weil ich nie den Mut hatte, meinem Vater zu sagen, was ich von ihm halte. Ich fühle mich gequält, bei dem Gedanken daran, es zu tun, und mit den Schuldgefühlen und dem schlechten Gewissen leben zu müssen. Ich fühle mich gequält, wenn ich den Gedanken, dass nur sein Tod mir Erleichterung verschaffen wird, verdrängen muss. Dass es diesen Gedanken überhaupt gibt. Dass ich so etwas überhaupt denken  muss.
    Ich fühle mich gequält, dass ich heute, als 51jährige erfolgreiche Business-Frau, Mutter von einer erwachsenen Tochter und einem erwachsenen Sohn, mich meinem Vater gegenüber immer noch wie ein kleines Mädchen verhalte. Ich will es ihm immer noch Recht machen, was aber ein aussichtsloses Unterfangen ist. Denn alles, was ich mache, verurteilt er, ob im Job oder privat.
    Am traurigsten ist jedoch, dass meine Mutter es sich neben ihm wie ein stummer Schatten bequem gemacht hat. Noch nie habe ich erlebt, dass sie ihm widersprochen hat. Dabei ist sie es, die den unsäglichen Launen meines Vaters jeden Tag aufs Neue ausgesetzt ist. Und er behandelt sie nicht anders. Im Gegenteil, er drangsaliert sie, bevormundet sie. Geht sie nicht schnell genug, schubst er sie. Stolpert sie, herrscht er sie kalt an und zieht sie an ihrem Arm. Kleckert sie, macht er sich über ihre Dussligkeit lustig und hält anschließend eine Belehrung darüber, wie man ordentlich speist. Es ist eine Qual für mich, diesem traurigen Schauspiel zusehen zu müssen. Die größere Qual ist jedoch, dass meine Mutter nie auch nur irgendwelche Anstalten machte, sich gegen ihren Tyrannen-Ehemann zu wehren. Sie ertrug das alles, und das schlimmste ist, es schien ihr noch nicht mal irgendetwas auszumachen. Sie war nie beleidigt, noch sah ich sie jemals in Tränen aufgelöst wegrennen. Stattdessen tat sie so, als wäre nichts gewesen. Und als wäre das Verhalten

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