Family Job
Es war jedoch nicht so, dass sie Angst vor ihm hatte. Sie hatte von Richie nichts zu befürchten. Nein, ihre Hand zitterte vor Erregung. »Wie viele?«, fragte sie ihn. »Wie viele Leute hast du schon …?«
Es stellte sich heraus, dass der eine, von dem er ihr erzählen wollte, der, der ihn ein bisschen aus dem Konzept gebracht hatte, der letzte war, Mord Nummer 3.
»Deshalb war ich in Manchester«, sagte er. »Elendes Dreckloch.« Das war lange vor dem Arndale-Anschlag gewesen. Danach hatte er dort ’99 noch einen Auftrag erledigt und sagte, die Stadt sei nicht wiederzuerkennen. »Die Zielperson hat in ’nem italienischen Restaurant gearbeitet.«
»Zielperson? Sagt man so?«
Richie zuckte die Achseln. »Wieso nicht?«
»Das sagen sie doch im Fernsehen, im Kino.«
»Ich weiß«, sagte Richie. »Ich glaub, da hat’s Carlos auch her.«
»Wer ist Carlos?«
»Erzähl ich dir später«, sagte er. »Egal, ich hab versucht, ’ne Pistole reinzuschmuggeln und auf dem Klo hinterm Spülkasten zu verstecken.«
»Wie in Der Pate !« Voll die Kino-Romantik. Er war jung. Effie war ein Jahr jünger und wusste genau, was er fühlte.
Er lächelte, und seine Augen glänzten. »War aber viel zu kompliziert.«
Am Ende hatte er sich für etwas weitaus Einfacheres entschieden. Oberflächlich betrachtet, wenigstens.
»Ich hab mich mit der Zielperson angefreundet«,erklärte Richie weiter. Er wandte den Blick ab und schaute einen Moment lang an die Wand. »Er war schwul«, sagte er dann. »Ich bin mit zu ihm nach Hause gegangen und hab ihn mit seinem Kopfkissen erstickt.« Er schaute wieder an die Wand. »Danach. Als er geschlafen hat.«
»Du bist ihm zu nahe gekommen«, sagte Effie.
»Ich weiß.«
»Den Fehler machst du nicht noch mal.«
»Nein.«
»Erzähl mir von Carlos«, forderte sie.
Er tat es. Ein Spanier, der in Edinburgh lebte und Auftragsmorde vermittelte mit einem Sonnenstudio als Tarnung. Sie hatte nie so richtig an ihn geglaubt, bis sie ihn ein paar Monate später kennenlernte.
»Erzähl mir von den anderen«, sagte sie.
Sie war fasziniert, und daran hatte sich nichts geändert. Sie wusste, dass das irgendwie nicht normal war, aber Richie empfand es genauso, und er sagte, so würde eben ihr Verstand funktionieren, sie seien was Besonderes. Was das betraf, war sie sich nicht so sicher. Aber sie waren anders, daran gab es keinen Zweifel. Vielleicht war es genetisch. Ihr Dad dachte auch nicht so wie irgendjemand sonst, den sie in ihrem Leben getroffen hatte.
Von diesem Abend an erzählte Richie ihr alles. Nach einer Weile war es so, als sei sie bei jedem Job dabeigewesen. Mehr als einmal hatte sie ihn gefragt, ob sie nicht mal mitgehen könne, aber das ließ er nicht zu.
Und darüber war sie dann letztlich doch froh, als er im Wald bei Almondell beinahe geschnappt wurde. Sie erinnerte sich, dass er ihr davon erzählt hatte, und sie war sogebannt von der Geschichte, dass sie, als sie den Arm hob, um ihm die Haare aus dem Gesicht zu streichen, merkte, dass sie unter den Armen, unter den Brüsten, in den Kniekehlen schwitzte – gerade so, als wäre sie auch im Zickzack durch den Wald geflüchtet.
Sie wusste damals noch nicht, dass die Zielperson Martins Dad war. Aber jetzt wusste sie es. Und sie wünschte, sie wüsste es nicht.
Mit dem Wissen zu leben, wer den Dad ihres Freundes umgebracht hatte, bedeutete eine Menge Verantwortung. Sie hatte es ihrem Vater erzählen müssen. Da führte kein Weg dran vorbei. Sie hoffte nur, dass er es schaffen würde, den Mund zu halten.
Wenn Martin wüsste … nun ja, das durfte er nicht. Sie konnte nicht voraussagen, wie er reagieren würde. Vielleicht würde er Richie die Schuld geben. Sie hielt das durchaus für möglich. Von einem gewissen Standpunkt aus trug Richie ja auch wirklich die Schuld. Aber Richie war nur jemand, der dafür bezahlt wurde, dass er einen Auftrag erledigte. Wenn er es nicht machte, machte es jemand anders.
Wenn Martin es wüsste … Scheiße, ihre Gedanken kreisten immer wieder um den einen Punkt. Okay, tief durchatmen:Wenn Martin wüsste,was Richie getan hatte, vielleicht würde er sie dann nicht mehr lieben. Da, jetzt hatte sie es gesagt. Das war es, wovor sie sich fürchtete.
Aber es gab keinen Grund dafür, dass Martin dachte, Tommy Savage hätte einen Subunternehmer mit dem Mord beauftragt. Er hatte keinen Grund, Richie zu verdächtigen.
Manchmal fragte sie sich, wie sehr das, was sie für Martin empfand, auf den Schuldgefühlen wegen
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