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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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der Sack an. Ich mußte Amalia retten, aus der schmutzigen Geschichte herausholen, in die sie sich eingelassen hatte. Ich also der Kutsche und der Droschke hinterher, auf leisen Hufen, tapp-tapp, tapp-tapp. Weit waren sie nicht gekommen, da hielten sie schon wieder. Ich saß ab, nahm die Stute bei der Kandare, damit sie bloß nicht wieherte. Gott-hab-ihn-selig kam aus der Kutsche gekrochen und sagte (die Nacht war so still, daß man es gut hören konnte): ›Nein, Herzchen, da schau ich lieber noch mal nach. Ich hab so ein dummes Gefühl. Dieser Knabe ist doch gar zu helle. Sollten Sie mich brauchen, wissen Sie ja,wo ich zu finden bin.‹ Ich war natürlich erst mal in Rage, von wegen Herzchen – diese vertrocknete Pfefferschote! Und dann ging mir ein Licht auf. War da etwa von dem lieben Erasmus die Rede?«
    Surow wiegte stolz den Kopf, sichtlich zufrieden mit seiner Findigkeit.
    »Der Rest ist schnell erzählt. Der Droschkenkutscher ist auf den Bock von Amalias Kutsche gewechselt. Ich bin hinter Gott-hab-ihn-selig her. Da, hinter der Ecke stand ich und wollte unbedingt rauskriegen, welche Suppe du ihm versalzen hast. Aber ihr habt zu leise gesprochen, es war rein gar nichts zu verstehen. Ich hatte nicht vorgehabt zu schießen, für einen guten Schuß war es sowieso viel zu dunkel, aber dann sah ich, daß er dich umlegen wollte – das sah ich ihm von hinten an. Dafür hab ich ein Auge, Bruder. Und was sagst du zu dem Schuß? Hat es sich nicht gelohnt, daß Surow mit Fünfkopekenstücken trainiert? Aus vierzig Schritt exakt auf den Scheitel, und das bei dem Licht!«
    »Vierzig, na ja, wer weiß«, sagte Erast zerstreut, er war mit den Gedanken ganz woanders.
    »Glaubst du mir nicht?« ereiferte sich Surow. »Dann zähl nach!« Er war schon dabei, die Strecke abzuschreiten (die Schritte vielleicht etwas knapp bemessend), Fandorin hielt ihn zurück.
    »Und was hast du nun vor?«
    »Was schon! Erst machen wir wieder einen ordentlichen Menschen aus dir, du klärst mich auf, was ihr hier eigentlich treibt, und nach dem Frühstück fahre ich zu Amalia. Ich schieße sie über den Haufen, die falsche Schlange, oder ich entführe sie. Du sag mir nur, ob ich dich als Verbündeten oder als Nebenbuhler anzusehen habe?«
    »Tja, also, die Sache steht so«, begann Fandorin, die Stirnin Falten gelegt, und rieb sich müde die Augen. »Beistand benötige ich weiter keinen – Punkt eins. Erklären werde ich dir gar nichts – Punkt zwei. Amalia über den Haufen zu schießen wäre löblich, aber es könnte genausogut passieren, daß es dich erwischt – Punkt drei. Und den Nebenbuhler kannst du getrost vergessen – Punkt vier. Die Frau widert mich an.«
    »Erschießen wäre wohl wirklich das Beste«, entgegnete Surow gedankenversunken. »Adieu, Erasmus. So Gott will, sehen wir uns wieder.«
     
    Der auf die Erschütterungen der Nacht folgende Tag, so ereignisreich er war, kam Fandorin seltsam zerrissen vor – wie aus einzelnen, recht und schlecht miteinander verklebten Bruchstücken bestehend. Zwar schien es ihm so, als stellte er vernünftige Überlegungen an, faßte vernünftige Entschlüsse, handelte sogar – doch geschah all dies wie losgelöst von ihm und gleichsam außerhalb des Protokolls. Dieser letzte Tag im Juni prägte sich unserem Helden als ein Reigen greller Bilder ein, zwischen denen nichts als gähnende Leere war.
     
    Zum Beispiel dieser Morgen am Themse-Ufer, bei den Docks. Freundliches, sonniges Wetter, die Luft nach dem Gewitter noch frisch. Fandorin sitzt auf dem Blechdach eines flachen Lagerhauses, in Unterwäsche, die nassen Kleider und die Stiefel neben sich ausgebreitet. Der eine Stiefelschaft hat einen langen Riß. Auch Geldscheine und der aufgeschlagene Paß trocknen an der Sonne. Fandorin, dem Wasser glücklich entronnen, hängt seinen Gedanken nach. Verworrenen, abschweifenden Gedanken, die doch immer wieder zum selben hinführen.
    Sie nehmen an, daß ich tot bin, aber ich lebe – Punkt eins. Sie nehmen an, daß nun keiner mehr Bescheid weiß, aber ich weiß Bescheid – Punkt zwei. Das Portefeuille bin ich los – Punkt drei. Glauben wird mir kein Mensch – Punkt vier. Am ehesten werde ich ins Irrenhaus eingeliefert – Punkt fünf.
    Nein, so nicht. Noch mal von vorn. Sie wissen nicht, daß ich am Leben bin – Punkt eins. Sie werden nicht nach mir suchen – Punkt zwei. Bis Pyshow aus dem Wasser gefischt ist, wird einige Zeit vergehen – Punkt drei. Man könnte die Botschaft aufsuchen und eine

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