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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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tatsächlich chinesischen Hieroglyphen ähnelten, waren gerade nochzu erkennen, er konnte zusehen, wie sie verschwanden, kurze Zeit später hielt er ein blütenweißes Kärtchen in der Hand.
    »Was ist das für eine Hexerei!« rief der keuchende General. »Irgendwelche Geheimtinten?«
    »Ich befürchte weit Schlimmeres, Hohe Exzellenz«, meinte ein Herr von professoralem Aussehen, nachdem er eines der Kärtchen bei Licht besehen hatte. »Rittmeister, hatten Sie nicht gesagt, die Kartei habe sich in einer Art Photographenkammer befunden?«
    »Zu Befehl!« bestätigte Beloserow ehrerbietig.
    »Erinnern Sie sich an die Beleuchtung! War es zufällig rotes Licht?«
    »Richtig, da war eine rote elektrische Lampe.«
    »Dachte ich mir. Tja, Lawrenti Arkadjewitsch, die Kartei ist leider irreparabel hinüber.«
    »Wie? Das kann nicht sein!« brauste der General auf. »Nein, Herr Kollegienrat, ich darf doch bitten, denken Sie sich gefälligst etwas aus. Sie sind ein Meister Ihres Fachs, eine Koryphäe!«
    »Nur leider kein Zauberer, Hohe Exzellenz. Augenscheinlich sind die Karten mit einer speziellen Lösung imprägniert, so daß sich nur bei Rotlicht mit ihnen arbeiten ließ. Die Schicht, auf die die Buchstaben aufgetragen sind, ist nun belichtet. Raffiniert, das muß man sagen. So etwas ist mir noch nicht untergekommen.«
    Der General hob und senkte die buschigen Brauen, schnaufte bedrohlich. Im Zimmer wurde es still – ein Unwetter drohte. Doch das Gewitter entlud sich nicht.
    »Gehen wir, Fandorin«, versetzte der Chef der Dritten Abteilung mit tonloser Stimme. »Die Arbeit ruft.«
     
    Die zwei letzten chiffrierten Einträge blieben unentschlüsselt – sie waren erst am dreißigsten Juni hinzugekommen, so daß Fandorin keine Chance hatte, sie wiederzuerkennen. Man durfte nun erste Schlüsse ziehen.
    Der müde General Misinow hatte seine Wanderung durch das Kabinett wieder aufgenommen und überlegte laut.
    »Fassen wir das wenige zusammen, was wir haben. Es existiert eine internationale Organisation, deren Name möglicherweise ›Asasel‹ ist. Der Anzahl Karten nach zu urteilen, die zu lesen uns nicht mehr vergönnt ist, umfaßt sie 3854 Mitglieder. Über siebenundvierzig von ihnen – respektive fünfundvierzig, zwei Einträge sind nicht entschlüsselt – wissen wir etwas. Allerdings nicht viel – nur die nationale Zugehörigkeit und den Stand. Keine Namen, keine Altersangaben, keine Adressen. Was wissen wir noch? Die Namen zweier Asaseller: Cunningham und Brilling. Beide tot. Außerdem wissen wir von einer Amalia Beshezkaja in England – falls Ihr Surow sie nicht getötet hat und falls sie nicht schon außer Landes ist und falls sie überhaupt so heißt. ›Asasel‹ agiert aggressiv, schreckt nicht vor Mord und Totschlag zurück, hat sich offensichtlich einem höheren Zweck verschrieben. Nur welchem? Es sind keine Freimaurer, das wüßte ich, bin ja selbst einer, und nicht irgendeiner … Äh, hm. Das Letzte haben Sie nicht gehört.«
    Fandorin zog verlegen den Kopf zwischen die Schultern.
    »Es ist auch nicht die Sozialistische Internationale«, fuhr Misinow fort, »für derlei Aktionen sind die Herren Kommunisten nicht intelligent genug. Und Brilling ein Revolutionär – das kann nun wirklich nicht sein. Was immer er da heimlich getrieben hat, Nihilisten hat mein lieber Kollege stets mit Ernst und Erfolg gejagt. Was also bezweckt dieser ›Asasel‹? Das ist die große Frage. Und keinerlei Anhaltspunkte.Cunningham tot. Brilling tot. Dieser Nikolai Krug ist eine unwichtige Figur, ein Handlanger. Pyshow, dieser Lump, ist tot. Alle Fäden verlaufen im Sande.« Misinow hob entrüstet die Schultern. »Nein, ich weiß wirklich nicht, was ich davon halten soll! Ich habe Brilling seit über zehn Jahren gekannt. Ich habe ihn zu dem gemacht, was er zuletzt war! Er war meine Entdeckung! Stellen Sie sich vor, Fandorin: Damals als Generalgouverneur von Charkow habe ich alle möglichen Wettbewerbe für Gymnasiasten und Studenten ausschreiben lassen, um bei der jungen Generation Patriotismus zu wecken und das Bedürfnis, sich fürs Vaterland nützlich zu machen. Man brachte mir einen dürren, ungelenken Jungen, Abiturient, der einen sehr vernünftigen und leidenschaftlichen Aufsatz zum Thema »Rußlands Zukunft« verfaßt hatte. Glauben Sie mir, sein Werdegang und seine geistigen Anlagen ließen an einen jungen Lomonossow denken – ohne Stammbaum und Adel, Vollwaise, hat jede Kupferkopeke gespart, um Unterricht zu bekommen,

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