Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
erschien der rote Schopf.
    »Machen Sie auf, Cunningham«, sagte der Chef laut. »Ich muß dringend mit Ihnen sprechen!«
    »Brilling?« staunte der Engländer. »Was ist los?«
    »Im Klub ist es etwas vorgefallen. Ich muß Sie warnen.«
    »Einen Moment, ich komme hinunter. Der Diener hat heute seinen freien Tag.« Der Kopf verschwand.
    »Alles klar«, wisperte Fandorin. »Das mit dem Diener sagt er nur so. Bestimmt hat er über den Papieren gesessen!«
    Brilling trommelte nervös mit den Fingerknöcheln gegen die Tür – Cunningham schien es nicht eilig zu haben.
    »Nicht, daß er uns abhaut?« fragte Fandorin unruhig. »Was ist mit der Hintertreppe? Soll ich um das Haus laufen und mich dort postieren?«
    Doch da ertönten drinnen Schritte, und die Tür ging auf.
    Auf der Schwelle stand Cunningham im langen, mit Schnüren und Knebeln zu schließenden Morgenmantel. Seine stechend grünen Augen blieben einen Moment lang an Fandorin hängen, die Brauen zuckten verräterisch. Er hatte ihn erkannt!
    »
What’s happening?
« fragte der Engländer mißtrauisch.
    »Gehen wir in Ihr Kabinett«, gab Brilling auf russisch zur Antwort. »Es ist sehr wichtig.«
    Cunningham zögerte eine Sekunde, dann hieß er die ungebetenen Gäste mit einer Handbewegung folgen.
    Zu dritt stiegen sie eine Treppe aus Eichenholz nach oben und standen kurz darauf in einem Zimmer, das stattlich, doch nicht luxuriös möbliert war. Die Wände entlang zogen sich lückenlos Regale mit Büchern und irgendwelchen Ordnern, am Fenster, neben einem kleinen Schreibtisch aus karelischer Birke, gab es ein Gestell mit lauter kleinen Kästen, von denen jeder ein goldenes Schildchen trug.
    Fandorin fand diese Kästen nicht weiter aufregend (Cunninghamwürde seine Geheimdokumente wohl kaum in dieser leicht zugänglichen Form aufbewahren), viel mehr interessierten ihn die auf dem Tisch liegenden, von der letzten Nummer der »Börsennachrichten« nur notdürftig abgedeckten Papiere.
    Iwan Brilling schien die Sache ähnlich zu sehen – er durchquerte das Zimmer und stellte sich neben dem Tisch in Position, das offene, bis zu den Kniekehlen hinunterreichende Fenster im Rücken. Der Abendwind bewegte sacht die Tüllgardine.
    Fandorin begriff das Manöver seines Chefs sofort und blieb neben der Tür stehen. Jetzt war für Cunningham kein Entkommen.
    Der Engländer schien Böses zu ahnen.
    »Sie benehmen sich eigenartig, Brilling«, sagte er in tadellosem Russisch. »Und was sucht dieser Mann hier? Ich kenne ihn, er ist Geheimpolizist.«
    Brilling, die Hände in den Taschen seines weiten Gehrocks, sah Cunningham von unten her an.
    »Stimmt, er ist Polizist. Und in ein paar Minuten werden hier noch viel mehr Polizisten sein, darum kann ich mich nicht mit Erklärungen aufhalten.«
    Die rechte Hand des Chefs tauchte aus der Tasche hervor, Fandorin sah seine Smith&Wesson darin stecken, doch sich zu wundern blieb keine Zeit. Im nächsten Moment hatte auch er die Pistole gezogen. Es war soweit!
    »
Don’t …!
« schrie der Engländer und riß den Arm hoch, da krachte schon der Schuß.
    Cunningham kippte nach hinten. Fandorin stand wie erstarrt. Er sah die weit aufgerissenen, noch lebendigen grünen Augen und das schwarze Loch mitten auf der Stirn.
    »Mein Gott, Chef, warum denn das?«
    Er drehte sich zum Fenster – und blickte in eine schwarze Revolvermündung.
    »Den haben Sie auf dem Gewissen«, sprach Brilling mit gekünstelt klingender Stimme. »Sie sind ein zu guter Detektiv. Und darum, mein junger Freund, werde ich Sie erschießen müssen, was mir aufrichtig leid tut.«

VIERZEHNTES KAPITEL,
    in welchem die Geschichte eine gänzlich andere Wendung nimmt
    Der arme Fandorin verstand überhaupt nichts. Er stolperte ein paar Schritte vorwärts.
    »Zurück!« fuhr ihn der Chef an. »Und fuchteln Sie nicht so mit dieser Pistole herum, die ist ja doch nicht geladen. Sie hätten ruhig mal nachschauen können. Wie kann einer nur so verdammt gutgläubig sein! Keinem darf man trauen außer sich selbst!«
    Brilling holte aus der linken Rocktasche genau die gleiche Herstal-Pistole hervor; die rauchende Smith&Wesson warf er Fandorin vor die Füße.
    »Die hier dagegen ist vollständig geladen, wovon Sie sich gleich überzeugen können«, sagte Brilling; die Gehässigkeit in seiner Stimme nahm mit jedem Wort zu. »Ich werde sie dem unglücklichen Cunningham in die Hand legen, und es wird so aussehen, als hätten Sie beide einander im Schußwechsel getötet. Ein Ehrenbegräbnis

Weitere Kostenlose Bücher