Fang schon mal ohne mich an - Phillips, C: Fang schon mal ohne mich an
College gehen könnte und dass er unser Leben ruiniert hätte. Er schlug sie. Ich nahm sein Gewehr, um ihm Angst einzujagen. Ich wollte ein Mann sein. Mom zuliebe.“ Seine Augen füllten sich mit Tränen, die er sich mit dem Hemdsärmel wegwischte.
Jessie konnte nicht glauben, was sie da gerade hörte. Ihr wurde übel und entsetzlich kalt. „Was geschah dann?“, fragte sie.
„Ich habe den Ersatzschlüssel fürs Büro genommen und bin dorthin gegangen. Mein Vater hatte getrunken, und er war schrecklich besoffen. Als ich mit dem Gewehr auftauchte, hat er sich lustig über mich gemacht. Sagte, dass ich nicht den Mut hätte, die Waffe zu benutzen. Er hatte recht.“
Seth lachte, aber Jessie erkannte sein Lachen nicht mehr wieder.
„Er griff nach dem Gewehr, und ich sprang zurück, ich wollte nur ausweichen, aber doch nicht abdrücken.“ Tränen rannen ihm die Wangen hinunter. „Ich wollte es nicht. Ich bekam so viel Angst, dass ich weggelaufen bin. Als ich nach Hause kam, war dein Vater bei meiner Mom. Sie haben mich nicht einmal kommen hören.“
Jessie konnte kaum schlucken. „Was passierte mit dem Gewehr?“, flüsterte sie.
„Ich fühlte mich so krank, und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Dann habe ich das Gewehr in eine Plastiktüte gepackt und es am Fußende meines Bettes versteckt und darauf geschlafen. Am nächsten Tag habe ich es in einen Müllcontainer hinter der Schule geworfen.“ Er schaute Jessie an. Sein Gesicht war blass, und seine Augen blickten flehend. „Ich habe meinen Vater geliebt. Ich wollte es nicht. Und ich will auch nicht, dass dein Dad meinetwegen ins Gefängnis muss, aber ich hab Angst, dass man mich stattdessen einsperren wird.“
Seine Stimme versagte, und er klang jetzt wie ein kleiner Junge und nicht wie einer, der etwas so Schreckliches getan hatte. Nun, wo die Geschichte heraus war, setzte er sich auf die Couch und verbarg den Kopf in seinen Händen. Sein Körper zitterte, und er schaukelte vor und zurück und umgekehrt.
Jessie fühlte sich hilflos. Verängstigt. Ihr war sterbenselend zumute. Aber sie umarmte ihren Freund und sprach die Worte, die sie selbst gerne gehört hätte, wenn sie etwas so Furchtbares getan hätte.
„Du bist trotzdem noch mein bester Freund.“
Sie dachte fieberhaft darüber nach, was sie mit den Neuigkeiten anfangen sollte. Sie liebte ihren Vater, doch dank Hunter und Molly glaubte sie, dass ihm nichts geschehen würde. Es musste einfach so sein.
„Weißt du, was ich glaube?“, sagte sie schließlich zu Seth. „Wir müssen Hunter vertrauen, dass er Dad freibekommt.“
„Aber Hunter hat gesagt …“
„Das spielt keine Rolle“, unterbrach ihn Jessie. „Molly sagte, dass sie ihm vertraut. Und obwohl ich selbst nicht glauben kann, dass ich das jetzt sage, meine ich, dass wir ihm, wenn Molly es tut, auch vertrauen sollten.“ Sie holte tief Luft und nickte zufrieden mit ihrer Entscheidung. „Ja, ich glaube, wir sollten ihm vertrauen.“
Sie schloss die Augen und betete, dass sie recht behielt.
15. KAPITEL
E in paar Tage später ertönte Hunters Handy, als er mit dem Kommandeur in der Küche seinen morgendlichen Kaffee trank. Seine Kanzlei hatte die Information erhalten, dass die Anhörung wegen Franks Anklage Anfang kommender Woche stattfinden sollte. Er erzählte Mollys Großmutter, die ihr Haar aus Versehen orange gefärbt hatte, die Neuigkeiten, und innerhalb von zehn Minuten – fünfzehn, wenn man Jessie mitzählte, die zuerst noch ihr Haar föhnen musste – waren sowohl die Familie des Generals als auch Sonya und Seth in der Küche versammelt. So viel Publikum hatte er gar nicht erwartet, aber er nahm an, dass es wohl am sinnvollsten war, seine Strategie allen Beteiligten vorzustellen.
Frank saß am Kopfende des Tisches. Sonya stand neben ihm. Ihre Hand ruhte auf seiner Schulter. Ihre Unterstützung und Besorgnis waren offensichtlich. Robin, die über das Wochenende nach Hause gekommen war, saß neben Molly, während Jessie und Seth sich in der Nähe der Küchentür herumdrückten.
Hunter betrachtete die Gesichter, die ihm in der kurzen Zeit sehr vertraut geworden waren, und seine Panik wuchs. Diese Menschen vertrauten ihm. Und obwohl auch seine früheren Klienten und deren Familien sich auf ihn verlassen hatten, war es diesmal eine besondere Situation für ihn. Diesmal handelte es sich um Mollys Familie. Niemals zuvor hatten ihm zwei Worte so viel bedeutet. Sie hatte ihr ganzes Leben damit verbracht, diese Familie zu
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