Fang schon mal ohne mich an - Phillips, C: Fang schon mal ohne mich an
Sorgen habe. Dann hab ich aufgelegt und bin sofort hierhergefahren, bevor sie ein Taxi nehmen und bei meinem Vater aufkreuzen konnte, um mir ihre Wünsche noch einmal persönlich vorzutragen.“
Liza nickte nachdenklich. „Gab es nicht einmal eine Zeit, in der du alles für sie getan hättest, was sie verlangte, nur damit sie nicht wütend wurde und dich wieder verließ?“ Ihr mitfühlender Blick haftete auf Molly, während sie sprach.
Das folgende Schweigen nutzte sie, um einen raschen Blick in den Kunstraum zu werfen.
Molly wusste, dass Liza keine Zeit hatte, länger mit ihr zu sprechen. Noch einmal an ihr erbärmliches Verhalten erinnert zu werden versetzte Molly plötzlich einen Stich in der Herzgegend. „Ja, es hat eine Zeit gegeben, in der ich getan hätte, was immer sie von mir verlangte. Es ist also ein Fortschritt, dass ich Nein gesagt habe?“
„Wenn weglaufen für dich dasselbe bedeutet wie Nein sagen.“ Liza streckte freundschaftlich die Hand aus und legte sie Molly auf die Schulter. „Hör mal, ich glaube, Hunter hat recht. Du musst deiner Mutter klarmachen, was sie ab jetzt noch von dir erwarten kann und was nicht. Bevor du ihr nicht klipp und klar gesagt hast, was du willst, vermeidest du es, der Realität ins Auge zu sehen. Dass sie, sobald du ein paar grundsätzliche Regeln aufgestellt hast, vermutlich nicht mehr wiederkommen wird. Nie mehr.“ Lizas Stimme klang beruhigend, doch Molly hatte jedes Wort verstanden.
Die Angst schnürte ihr den Hals zu. „Ich weiß nicht, ob ich dazu in der Lage bin.“
„Hör zu!“, sagte Liza. „Ich muss jetzt wieder reingehen, bevor Irwin anfängt, sich auszuziehen, aber wenn du mich fragst, dann kann die Beziehung zwischen dir und deiner Mutter nicht mehr schlimmer werden, als sie schon ist.“
Molly schluckte. „Mag sein, dass du recht hast, aber wenn mein Vater ins Gefängnis muss und meine Mutter mir für immer böse ist, was bleibt mir dann noch?“
Hunter. Doch Molly hatte die letzten achtundzwanzig Jahre gedacht, dass eine Familie der Weg war, ihre emotionale Leere auszufüllen. Der Gedanke, ihre Mutter wissentlich zu verstoßen, machte ihr fern aller Vernunft eine Riesenangst. Das war zwar nicht sehr erwachsen, aber dafür sehr ehrlich, dachte Molly.
Liza drückte sie rasch an sich. „Wenn du reden willst, ich habe nachher frei, okay?“
„Danke“, erwiderte Molly. Sie schätzte ihre Freundin sehr, vor allem, dass sie ihr so persönliche Dinge anvertrauen konnte.
Liza ging in den Klassenraum zurück. „Irwin, ziehen Sie sofort Ihr Hemd wieder an!“, brüllte sie.
Molly schüttelte den Kopf und lachte. Als sie in die Haupteingangshalle zurückkehrte, ertönte ihr Handy, und sie fischte es aus ihrer Handtasche. Auf dem Display leuchtete die Nummer ihres Vaters auf.
Sie klappte das Handy auf. „Hallo?“
„Molly, hier ist dein Dad. Du musst sofort nach Hause kommen. Seth ist verschwunden. Keiner weiß, wo er steckt, und Jessie hat sich in ihrem Zimmer eingeschlossen. Sie will mit niemandem reden, und das macht mir große Sorgen.“
Molly bekam plötzlich einen ganz trockenen Mund. „Ich bin sofort da“, versprach sie und begann zu ihrem Wagen zu rennen.
Auf dem gesamten Nachhauseweg versuchte sie sich die schieren Höllenqualen vorzustellen, denen Seth ausgesetzt war. Sein Vater war ermordet worden, seine Mutter ein emotionales Wrack, der einzige andere Mann in seinem Leben wurde des Mordes verdächtigt und landete möglicherweise für den Rest seines Lebens im Gefängnis. Das waren alles Dinge, mit denen klarzukommen schon einem Erwachsenen schwergefallen wäre.
Wie sollte ein Teenager das verarbeiten?
Und dann gab es da auch noch Jessie, die sich um Seth sorgte wie um einen Bruder. Falls sie wusste, was mit ihm passiert war, wurde sie nun zerrissen zwischen den Möglichkeiten, ein Geheimnis zu verraten oder das Richtige zu tun und zu petzen, damit er wieder heil und gesund nach Hause kam. Da war sich Molly sicher.
Angesichts dieses Dilemmas verblasste Mollys eigenes Gefühlschaos. Und sie fand es auf einmal kindisch, dass sie überhaupt gedacht hatte, sie hätte Probleme. Ihre eigenen Gefühle mussten auf jeden Fall warten, solange sie sich um ihre Familie kümmerte. Inklusive ihrer Gefühle für Hunter.
Edna war in Kommandeurslaune. Während alles andere auseinanderzubrechen schien, hielt sie die Familie, oder in diesem Fall die Familien, zusammen. Als Molly ins Haus kam, backte im Ofen eine Lasagne für das Abendbrot,
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