Fangjagd
brauche
dich“,
erklärte er ihr. „Ich möchte mit jemand reden können. Vergiß mal das Bett…“
„Spreche ich tatsächlich mit Manfred Seidler?“ Aber ihre Stimme klang weicher. „Woher kommst du gerade?“
„Aus Zürich“, log er rasch.
„Und wo bist du jetzt?“
„Müde und hungrig in einer Telefonzelle am Hauptbahnhof Du brauchst nicht zu kochen, Schatz. Ich lade dich ins beste Restaurant der Stadt ein.“
„Du hast damit gerechnet, daß ich zu Hause bin und nur auf deinen Anruf warten würde?“
„Erika“, sagte er energisch, „heute ist Samstag. Ich weiß, daß du samstags nicht arbeitest. Deshalb habe ich gehofft, daß du zu Hause sein würdest.“
„Du weißt ja, wo ich wohne, Manfred…“
Erika Stahel wohnte in einem kleinen Apartment im ersten Stock eines Hauses am Münsterplatz. Seidler schleppte seinen Koffer durch das einsetzende Schneetreiben, ohne die in langer Schlange wartenden Taxis vor dem Bahnhof zu beachten. Er hätte sich die Fahrt ohne weiteres leisten können, aber Taxifahrer hatten ein gutes Gedächtnis. Und sie gehörten oft zu den ersten von der Schweizer Polizei angezapften Informationsquellen.
Kurz nach 10Uhr drückte er auf den Klingelknopf neben dem Namen
E. Stahel.
Sie meldete sich so prompt über die Sprechanlage, als habe sie nur auf sein Klingeln gewartet.
„Ja, bitte?“
„Hier ist Manfred. Ich erfriere…“
„Komm!“
Der elektrische Türöffner summte. Seidler drückte die Haustür auf, während er sich nach beiden Seiten umsah.
Nachdem die Tür hinter ihm ins Schloß gefallen war, ignorierte er den Lift und benützte statt dessen die Treppe.
Im Aufzug konnte man geschnappt werden, falls einem jemand aufgelauert hatte. Seidler war inzwischen so nervös und mißtrauisch, daß er überall Fallen witterte.
Erikas Wohnungstür stand einen Spalt weit offen. Er wollte sie schon aufstoßen, machte dann aber doch eine Pause und fragte sich, was ihn dahinter erwarten mochte. Da ging die Tür nach innen auf, und Erika stand vor ihm. Sie war nur 1,60 Meter groß, eine zierliche, 28jährige Brünette mit hoher Stirn und klugen dunklen Augen.
„Worauf wartest du noch? Ich sehe dir an, daß du frierst und nervös bist – und Hunger hast. Das Frühstück steht schon auf dem Tisch, und der Kaffee ist fertig. Gib mir deinen Koffer, damit ich ihn wegstellen kann…“
Das alles sagte sie mit ihrer ruhigen, melodischen Stimme, während sie die Wohnungstür schloß und die Hand nach Seidlers Handkoffer ausstreckte. Er schüttelte den Kopf, sah ein, daß er nicht unhöflich sein durfte, und lächelte.
Seine Erleichterung war nicht gespielt. Hier fühlte er sich geborgen.
„Wenn du nichts dagegen hast, bringe ich den Koffer ins Schlafzimmer. Ich brauche ein paar Minuten Zeit, um mich frisch zu machen.“
„Du weißt ja, wo das Schlafzimmer ist…“ Ihr Tonfall war scherzhaft, aber sie beobachtete Seidler aufmerksam.
Als er die Schlafzimmertür hinter sich geschlossen hatte, legte er seinen Koffer auf das französische Bett und sah sich rasch um. Er brauchte ein Versteck, ein sicheres Versteck – und mußte es binnen weniger Minuten finden.
Seidler rückte lautlos einen Stuhl an den alten Bauernschrank, stieg auf den Sitz und wischte mit dem Zeigefinger oben über den Schrank. Sein Finger wurde staubig. Die ganze Wohnung blitzte vor Sauberkeit – aber kleine Frauen denken häufig nicht an die Oberseite hoher Schränke. Er stieg vom Stuhl und öffnete seinen Koffer.
Unter den Hemden kam ein kleiner Aktenkoffer zum Vorschein. Seidler Öffnete lautlos die Verschlüsse und nahm mehrere große Umschläge heraus. Alle enthielten größere Geldbeträge: Er hatte sein Schließfach bei einer Berner Bank am Freitagnachmittag kurz vor Schalterschluß ausgeräumt.
Ein weiterer Umschlag enthielt die zwanzig 5oo-FrankenScheine, die er dem ermordeten Franz Oswald in Wien abgenommen hatte.
Seidler stieg mit den Umschlägen in der rechten Hand wieder auf den Stuhl und verteilte sie auf der durch einen hohen Schnitzrand eingefaßten Oberseite des Bauernschranks.
Zuletzt legte er zwei ladenneue Oberhemden in ihrer Originalverpackung in den Aktenkoffer, um dessen Mitnahme zu rechtfertigen, ließ die Schlösser des größeren Koffers zuschnappen und schob ihn vorläufig unter das breite französische Bett.
„Mmmm, wie das nach Kaffee und Croissants duftet!“ sagte er lächelnd, als er wieder ins Wohnzimmer eintrat, wo Erika den Frühstückstisch in der Eßnische
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