Fangjagd
Nancy zog sich einen Stuhl ans Bett, nahm Platz und griff nach Jesses Hand.
„Er weiß nicht, daß Sie hier sind“, erklärte Novak ihr.
„Welches Sedativum haben Sie ihm gegeben?“ wollte Nancy wissen.
Novak zögerte. „Im allgemeinen sprechen wir über unsere Therapie nicht mit…“ begann er und sprach dann nicht weiter. Newman war aufgefallen, daß der Amerikaner kurz zu dem Spiegel über dem Waschbecken hinüber gesehen hatte. Natürlich! Die Milchglasscheibe der Tür war undurchsichtig. Aber jedes Krankenhaus und jede Klinik verfügte über irgendeine Möglichkeit, schwerkranke Patienten unbemerkt zu beobachten.
‚Ich möchte wetten, daß das Zimmer nebenan nicht belegt ist!‘ sagte er sich. (Und ich gehe jede Wette ein, daß die Dicke auf der anderen Seite dieses Beobachtungsspiegels steht.) Newman trat an das Waschbecken, nahm eines der weißen Handtücher vom Halter und hängte es über den Spiegel.
„Dr. Novak…!“ sagte Nancy scharf.
„Leise, Nancy“, flüsterte Newman ihr zu. „Man weiß nie, wer alles mithört…“
Er sah sich nach einem versteckten Mikrophon um, ohne jedoch eines zu entdecken. Dann zog er den zweiten Stuhl heran, stellte ihn neben Nancys und forderte Novak mit einer Handbewegung auf, Platz zu nehmen. Der Amerikaner ließ sich auf den Stuhl sinken und starrte Nancy an, die jetzt leise und eindringlich mit ihm sprach.
„Ich bin Ärztin. Ich habe ein Recht darauf, von Ihnen zu erfahren, mit welchem Mittel…“
„Natriumamytal“, sagte Novak prompt. „Er ist ein sehr kräftiger Mann und muß ruhig gestellt werden.“
Der Arzt blickte zu Newman auf, der ihm eine Hand auf die Schulter gelegt hatte. Jesse öffnete die Augen und starrte den Engländer an dann runzelte er die Stirn und machte eine ruckartige Kopfbewegung.
Schaffen Sie Novak von Nancy und mir weg!
„Kommen Sie, wir lassen die beiden allein“, schlug Newman dem Arzt vor. „Er ist schließlich ihr Großvater…“ Er ging zum Fenster, wartete, bis Novak sich zu ihm gesellt hatte. Das wahrscheinlich ins Freie führende Fenster hatte ebenfalls Milchglasscheiben – offenbar eine Spezialität dieser Klinik.
„Was gibt’s?“ erkundigte sich Novak, wobei er dem Bett den Rücken zukehrte.
„Wir müssen uns unbedingt außerhalb der Klinik treffen“, erklärte Newman ihm. „Es ist sehr wichtig! Sie wohnen hier auf dem Klinikgelände?“
„Ja, wie kommen Sie darauf?“
„Das habe ich gleich vermutet. Ich habe den Eindruck, daß Sie hier in einer geschlossenen Gesellschaft leben, die nur wenig Verbindung zur Außenwelt hat. Sie haben doch wenigstens manchmal Ausgang?“ fragte er mit sarkastischem Unterton.
„In meiner Freizeit tue ich, was mir gefällt…“
„Schon gut, schon gut, Sie brauchen nicht gleich den Beleidigten zu spielen. Bisher haben wir uns hier nicht sonderlich willkommen gefühlt. Ich wiederhole: Ich muss Sie außerhalb der Klinik sprechen – schlagen Sie also einen Treffpunkt vor. Thun wäre wohl am günstigsten?“
„Ja, wahrscheinlich“, bestätigte Novak zweifelnd. „Ich sehe allerdings keine Notwendigkeit, mich irgendwo mit Ihnen zu treffen.“
„Wirklich nicht?“ Newman, der genau beobachten konnte, was hinter dem Rücken des Arztes vorging, sprach rasch weiter. „Ich kann Sie natürlich nicht dazu zwingen. Aber ich könnte Zeitungsartikel über diese Klinik schreiben – und Sie als meinen Informanten benennen…“
„Um Himmels willen, nein!“
„Sie können sich darauf verlassen, daß ich keinem noch so cleveren Anwalt Gelegenheit geben würde, Verleumdungsklage gegen mich zu erheben. Ich verstehe es, gewisse Dinge nur anzudeuten, und weiß genau, wie weit ich damit gehen darf. Seien Sie sich selbst gegenüber ehrlich, Novak. Sie haben keinen sehnlicheren Wunsch, als den, sich auszusprechen. Das habe ich Ihnen schon nach ein paar Minuten angemerkt.“
„Gut, wir treffen uns im Hotel Freienhof“, stieß der Amerikaner hastig hervor. „In Thun in der Freienhofgasse… an der Aare … im kleineren Restaurant…
kennen Sie das Hotel zufällig?“
„Nein, aber ich finde es schon. Passt es Ihnen morgen?“
„Übermorgen. Am Donnerstagabend um neunzehn Uhr.
Dann ist’s schon dunkel…“
Während der Engländer Novak ablenkte, hatte Nancy flüsternd mit ihrem Großvater gesprochen, der plötzlich hellwach war und sie mit blitzenden Augen ansah. Sie beugte sich über ihn, damit sie sich leise unterhalten konnten. Jesse sprach mit klarer Stimme, ohne
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