Fangschuss
guckenden Herren und Damen mit unordentlichen Frisuren hineingeriet und nach mehreren Bierchen bekennen musste, dass man damals noch nicht mal im Kindergartenalter gewesen war. Aber so war es. Ich war schlichtweg zu jung für diese Art von gemeinsamer und entsprechend romantisch verklärter Vergangenheit. Meine Generation war zwischen Tschernobyl, Mauerfall, Techno, Golf-, Balkan- und Colakrieg aufgewachsen, da gab es wenig Verbindendes, außer der Tatsache, dass man zufällig schon gelebt und eventuell an denselben Partys dieselben Drogen konsumiert hatte. Wenn man sich denn daran erinnern würde. Punk war längst tot, und die neuen Helden waren frech vermarktete Mädchenbands und Boygroups, die mehr Mascara auf den Wimpern als Haare auf der Brust hatten. Es hatte kaum etwas gegeben, wofür oder wogegen man mit vollster Überzeugung hätte kämpfen oder sich einsetzen können. Diese Art von Erfahrung ging uns völlig ab, und wir konnten nicht mal viel dafür. Oder um die herrschenden Umstände mit DJ Bobos Worten zusammenzufassen, seines Zeichens auch ein Poppoet, der den Zeitgeist der Neunziger immer wieder mit scharfsinnigen Parolen einfing: There Is A Party!
Aber mit Guns N’ Roses verband mich die Zeit, als ich bewusst begann, Musik zu hören. Und schließlich gab’s von denen auch einen fantastischen Bob-Dylan-Coversong. Wenigstens kulturell war ich nicht hoffnungslos verloren.
Ich rief Ness an und informierte sie über den bisherigen Verlauf der Suche. Sie klang bedrückt, als sie erwähnte, dass Philipp sich immer noch nicht gemeldet hätte. Außerdem habe sie nichts Außergewöhnliches in ihrer Wohnung gefunden. Von Winkler hatte sie noch nie etwas gehört, doch sie willigte ein, mich am Nachmittag zu treffen. Ich hatte das Gefühl, dass sie mir noch lange nicht alles erzählt hatte, was sie wusste. Ich drehte die Musik auf, lehnte mich ans Fenstersims, rauchte eine Zigarette und summte Civil War mit, als ich plötzlich das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Ich wandte mich um und da stand einer von Winklers Jungs auf der anderen Straßenseite. Ich erinnerte mich, dass er vorhin auf einem der Sessel gesessen und dabei beinahe schüchtern gewirkt hatte, und es war ihm offensichtlich nicht ganz wohl gewesen bei der ganzen Messerdemonstration, die sein Kollege abgezogen hatte. Aber ich konnte mich auch irren, leider war ich nicht in der Position gewesen, alle Anwesenden im Auge zu behalten. Der Junge war klein und hager, er trug ein weißes T-Shirt mit rosa Muster und silbern glitzerndem Firlefanz. Die Hände in den Hosentaschen schaute er mit zusammengekniffenen Augen zu mir hoch.
»Ist was?«
Er regte sich nicht, stattdessen kaute er nervös auf seiner Unterlippe herum.
»Willst du hochkommen?«
Keine Antwort. Er tänzelte unruhig herum wie ein Rennpferd vor dem Start.
»Dann komm ich halt runter.« Ich rannte die Treppe hinunter und riss die Haustür auf. Der Junge war wie vom Erdboden verschluckt. Dafür bog von der Kaserne her ein BMW in Dunkelgrünmetallic in die Dienerstrasse ein. Direkt vor mir bremste er ab, die Scheibe wurde heruntergelassen und ich blickte in Ramiz’ schmieriges Grinsen. Lässig ließ er den Arm aus dem Fenster baumeln, dabei schnellte wie zufällig die Klinge seines Springmessers hervor. Ich schluckte leer. Er lächelte süffisant, fuhr mit den Fingern durch seine fettglänzende Tolle und ließ dann den Motor aufheulen, bevor er aufs Gas drückte und auf die Langstrasse zuschoss. Ich atmete auf, wischte mir den Schweiß von der Stirn und ging mit zittrigen Knien auf den Hauseingang zu.
Oben angekommen blickte ich wieder aus dem Fenster. Guns N’ Roses forderten in der Zwischenzeit Get In The Ring, und ich hätte jetzt dringend einen Drink gebraucht. Ich fragte mich, wie die beiden Jungs so rasch meine Adresse rausgefunden hatten. Offensichtlich war ich bereits bekannter im Quartier, als mir lieb war. Ich zündete eine Zigarette an, und als ich aufblickte, stand der kleine Albaner wieder auf dem Gehsteig. Er trat von einem Fuß auf den andern und wirkte so, als hätte er nicht die Nerven, es da draußen noch länger auszuhalten. Ramiz hatte ihn mit seinem Auftritt vorhin wohl verscheucht. Ich machte ihm ein Zeichen, er solle auf mich warten, und rannte zum zweiten Mal die Treppe hinunter.
Er lief schnell. Wie gehetzt blickte er sich immer wieder um, dann blieb er plötzlich stehen, wartete ungeduldig, bis ich aufgeholt hatte, und zog mich dann in einen
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