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Fangschuss

Fangschuss

Titel: Fangschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sunil Mann
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Durchgang. Dahinter war ein kleiner Innenhof, der hauptsächlich als Parkplatz benutzt wurde. Abfallcontainer reihten sich den Hauswänden entlang und diskrete Schilder wiesen darauf hin, dass hier nicht nur gewohnt, sondern auch gearbeitet wurde. Und zwar durchgehend. Der kleine Albaner schien verängstigt. Sein Kehlkopf zuckte heftig auf und ab, dann schluckte er leer und guckte mich an wie ein erschrockenes Häschen.
    »Wie heißt du denn?«, fragte ich mit meiner vertrauenerweckendsten Stimme. Er schien ratlos.
    »Dein Name?«
    Jetzt schien er zu verstehen, er lächelte flüchtig. »Murat.«
    Ich lächelte zurück, und dann standen wir wieder schweigend da. Er ließ mich nicht aus den Augen, als hätte er Angst, ich könnte davonlaufen. Seine Lippen bewegten sich unablässig, ohne dass ein Laut zu hören gewesen wäre.
    »Verschwinden«, flüsterte er dann plötzlich.
    »Wir müssen verschwinden?«
    »Sie.«
    »Ich?«
    »Nein, sie.«
    »Wer ist sie?«
    »Junge.«
    Er sprach offensichtlich nur wenig Deutsch, und das mit einem derart starken Akzent, dass ich Mühe hatte, ihn zu verstehen.
    »Die Jungs von vorhin? Bei Winkler?«
    Er nickte eifrig. »Kommen von Albania. Winkler gibt Arbeit. Sie verschwinden.«
    »Wohin verschwinden sie?«
    Er zuckte mit den Schultern, und ich griff mir in Gedanken an die Stirn. Die Frage war nicht wirklich scharfsinnig gewesen.
    »Weg. Kommen nie mehr.«
    »Aber vermisst sie denn keiner?«
    »Illegal. Schweiz. Illegal.«
    »Sie sind illegal in der Schweiz?«
    Er nickte mit weit aufgerissenen Augen. »Junge verschwinden. Familie nicht wissen, was tun. Polizei nicht gut. Polizei schicken zurück nach Albania.«
    »Was für eine Arbeit gibt ihnen Winkler?«
    Er sah mich konsterniert an, bis ich begriff.
    »Sonst gar kein Geld.«
    »Nur Gras?«
    Murat nickte. »Ja klar, Mann. Kokain Schwarze, Heroin Balkanmafia.«
    »Weshalb bist du nicht dort dabei?«
    »Falsche Familie. Wir alle falsche Familie. Bist du richtige Dorf oder falsche Dorf.«
    Ich konnte mir ungefähr zusammenreimen, was er sagen wollte. Der Heroinhandel in der Stadt wurde ziemlich straff geführt, die Mitglieder der Organisationen kannten sich alle und stammten, wenn nicht aus der gleichen Familie, so doch aus derselben Region in ihrem Heimatland. Das hieß, man kam entweder aus dem richtigen Dorf und hatte entsprechende Karrieremöglichkeiten im Familienbetrieb oder eben nicht. Die Jungs bei Winkler waren offensichtlich alle Eben-Nichts.
    »Kennst du Philipp?« Ich zeigte ihm erneut das Foto.
    Er beugte sich nur kurz darüber. »Er bei Winkler. Viel Streit.«
    »Weswegen hatten sie Streit?«
    Er legte den Kopf schief und überlegte. Erst jetzt, in der plötzlichen Stille, fiel mir das konstante Motorengeräusch auf, das vom Durchgang her zu vernehmen war. Murat zuckte zusammen, hieß mich warten und schlich behände der Mauer entlang zur Durchfahrt, um auf die Straße hinauszuspähen.
    Als er sich zu mir umwandte, war alles Blut aus seinem Gesicht gewichen. »Schnell!« Eilig kam er zurück.
    Das Motorengeräusch schwoll bedrohlich an und Murat zog mich in einen Hauseingang, der dank der durchgehend besuchbaren Damen offen stand. Er legte den Finger an die Lippen, als hätte ich vorgehabt, lautstark zu plappern. Ich erkannte eine dunkelgrüne Kühlerhaube, die sich aufreizend langsam in den Innenhof schob. Dann wurde eine Autotür zugeschlagen und Schritte näherten sich.
    »Murat!« Ramiz’ Gangsterstimme klang heiser. Wir sahen uns an und rannten los. Eine paar Treppenstufen hinauf, rein in die erstbeste Wohnung, durch den Flur dem Licht entgegen. Irgendjemand schrie empört hinter uns, ein Plastikperlenvorhang rasselte, unbeirrt rissen wir die nächstliegende Tür auf und stürzten in ein Zimmer, das glücklicherweise zur Straße führte. Der Raum war nur mit zwei Barhockern möbliert, die nahe am Fenster standen, auf einem davon hatte soeben noch eine dunkelhäutige, wenig herbstlich bekleidete Dame gesessen. In Sekundenbruchteilen stand sie aufrecht wie eine Guerillakämpferin bei der Rekrutierung und kreischte aufgebracht. Mit Schrecken erkannte ich Farbe und Länge ihrer Fingernägel, die knapp an meiner Nase vorbeischossen. Ein Sprung aus dem rasch aufgerissenen Fenster rettete mich in letzter Sekunde vor der Furie. Gott sei Dank arbeiteten die Damen im Parterre. Gerade half ich Murat, der unsanft auf dem Gehsteig gelandet war, auf die Beine, als aus dem Hinterhof das wütende Aufheulen eines Motors zu hören

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