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Fangschuss

Fangschuss

Titel: Fangschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sunil Mann
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allmählich und die Welt um mich herum verschwamm zu unscharfen Bildern. Dann klingelte plötzlich Mirandas Handy, sie flüsterte etwas von »Business«, küsste mich hastig und musste ganz eilig weg. Ich blieb sitzen und stierte ins Glas. Irgendwann hob ich den Kopf, sah mich um, fand alle anwesenden Frauen zickig und unnahbar und stierte wieder ins Glas. Nach einer Weile lehnte ich mich, einem spontanen Einfall folgend, zu dem Schlagersänger hinüber, der mittlerweile allein an der Bar hing und die ganze Zeit auffällig umherglotzte, wahrscheinlich in der Hoffnung, doch noch von irgendwem erkannt zu werden. Lallend forderte ich ihn auf, endlich mal was Richtiges zu singen, etwas Erfolgversprechendes, das seiner versandenden Karriere Auftrieb geben würde. Als nur gut gemeinten Hinweis erwähnte ich die fantastischen Songs meiner Lieblingsband Guns N’ Roses. An seine Antwort kann ich mich nicht mehr erinnern, aber ich befürchte, sie fiel ziemlich kurz und kaum jugendfrei aus.

Mittwoch
    Es war zehn Uhr morgens und ich kurvte bereits zum dritten Mal durchs Quartier, bis sich endlich doch noch ein freier Parkplatz fand. Ich quetschte meinen Käfer in die Lücke und blieb einen Moment lang sitzen. Noch immer war mir etwas flau im Magen. Babsi hatte vor Glück und Erleichterung geheult, als ich ihr Marie Antoinette übergeben hatte, und das schlechte Gewissen hatte mich gemeinsam mit dem ausgewachsenen Kater, den ich vom Trinkgelage am Vorabend hatte, gewürgt, bis sie mich hereingebeten und den Eierlikör hervorgeholt hatte. Dann musste ich mir alte Aufnahmen aus ihrer Glanzzeit anhören, natürlich auch ihren großen Hit von damals, dessen Refrain vor allem aus »Tralalala«, »Hola-Hola-Hoppsassa« und einer ganzen Menge sonstigem Tiefsinn bestand. Ein Klassiker. Sie bereite sich auf eine Fernsehsendung am Sonntag vor, sagte sie und strahlte übers ganze Gesicht. Ich nickte brav im Takt und fand, dass die Entlohnung mehr als gerechtfertigt war. Nach dem vierten Likör erhob ich mich und ließ sie allein in ihrem Ethno-Erinnerungsmuseum zurück.
    Ich stieg aus dem Wagen und wählte die Nummer, die mir Miranda gegeben hatte. Sieben Minuten später klingelte ich bei Winkler an der Tür.
     
    Im Treppenhaus roch es nach angebratenen Zwiebeln und zu lange herumstehenden Müllsäcken. Die Tür im dritten Stock war nur angelehnt. Ich klopfte und trat ein. Ein Spannteppich undefinierbarer Farbe bedeckte den Boden der Wohnung, es roch nach Rauch und Gras. Winkler kam mir entgegen, musterte mich kurz und nickte dann.
    »Komm rein«, murmelte er am Zigarettenstummel vorbei, der in seinem Mundwinkel klebte. Er war schmal und drahtig und trug eine runde Brille mit schwarzem Rand, die seinen kahl geschorenen Kopf wie ein simpel bemaltes Osterei aussehen ließ. Ich folgte ihm ins Wohnzimmer, das wirkte, als hätte er es komplett nach der Vorlage in einem IKEA-Katalog bestellt und aufgebaut. Da war nichts Persönliches zu sehen, keine Bilder, keine Bücher, keine Nippsachen. Nur ein Gestell, auf dem ein Fernseher thronte, dazu ein paar Sessel und ein Sofa, die um einen niedrigen Salontisch herumdrapiert waren. Darauf standen Softdrinkflaschen und mehrere überquellende Aschenbecher. Auf den Sitzgelegenheiten fläzten sich sechs junge Männer, die eindeutig nicht helvetischer Herkunft waren. Das waren jetzt wahrscheinlich diese Shipis, von denen Miranda erzählt hatte, nahm ich an. Albaner in dem Fall.
    »Hallo«, sagte ich.
    Sie starrten mich ausdruckslos an, was wohl zum eingeübten Gangsterverhalten gehörte, das sie sich bei den bösen Rappern auf YouTube abgeguckt hatten. Nur hatten sie nicht bedacht, dass Aussersihl nicht annähernd Brooklyn war und dass gezupfte Augenbrauen, kunstvoll rasierte Bärtchen, eng anliegende T-Shirts mit glitzernden Aufdrucken und Hosen, durch die sich der gesamte Genitalbereich abzeichnete, eher an eine New Yorker Schwulendisco aus den Achtzigerjahren erinnerten als an 50 Cent. Ich starrte ausdruckslos zurück und ließ mir nichts anmerken.
    »Willst was trinken?« Winkler deutete auf die Getränke. Ich schenkte mir eine Coke Zero ein und machte es mir auf der Armlehne des Sofas bequem. Einer der Village People lehnte sich vor und drehte einen Joint, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen.
    Winkler räusperte sich.
    »Was brauchst du?«
    Ich zögerte.
    »Mann, was du brauchst, fragt er!« Der Junge, der den Joint drehte, war etwas über zwanzig und hatte bedenklich schlechte Zähne. Die vorn

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