Fangschuss
zügiger voran. Ich konnte es kaum erwarten, aufs Gaspedal zu drücken. Innert kürzester Zeit war ich am Römerhof. Als ich die von pompösen Bauten gesäumte Straße den Zürichberg hochfuhr, fiel mir auf, wie selten ich mich aus meinem Quartier hinausbewegte und wie wenig mir eigentlich der Rest der Stadt vertraut war. Staunend blickte ich die herausgeputzten Fassaden hoch, als aus einem der Sträßchen, die zwischen den Jugendstilhäusern verliefen, unversehens ein schwarzer Offroader herausschoss. Ich trat abrupt auf die Bremse, worauf mein Käfer quietschend über die nasse Straße schleuderte, bis er mitten auf der Fahrbahn zum Stehen kam. Gerade noch rechtzeitig, denn um ein Haar hätte mich der Geländewagen über den Haufen gekarrt. Ich erhaschte nur einen flüchtigen Blick auf die Fahrerin, als sie an mir vorbeibrauste. Wie auf einem Hochsitz thronte sie in dem dschungeltauglichen Kasten und sah dabei kaum über das Lenkrad hinaus. Sie hatte mich wohl einfach übersehen. An ihrem Ohr klebte ein Handy und unter ihrer Nase ein Schlauchboot, das wohl einmal ihre Lippen gewesen waren. Ihr Gesicht war standesgemäß faltenfrei. Wahrscheinlich hätte man mit der Menge Botox, die in ihrer Stirn steckte, ein Nilpferd in den Winterschlaf versetzen können.
Ich parkierte einmal mehr auf dem Gehsteig, stieg eine Treppe hoch und durchquerte ein Vorgärtchen, das mit seinen Stiefmütterchen, Gartenzwergen und Fuchsien in Terracottatöpfen erstaunlich kleinbürgerlich wirkte. Als befände es sich in einem Vorort vor einem dieser zwei Fuß breiten Reihenhäuschen mit kreischend bunter Fassade und nicht vor einem prachtvollen Bau im klassizistischen Stil in der Gegend Zürichs, wo das durchschnittliche Vermögen und das durchschnittliche Alter das Wort ›Durchschnitt‹ von weit oben herab Lügen straften. Ich drückte auf die Klingel. Bereits nach wenigen Sekunden schwang die Tür auf und mir stand eine äußerst gepflegte Dame gegenüber, die unmöglich das Hausmädchen sein konnte.
»Frau Stadelmann?«
»Von Salis. Von Salis-Stadelmann.«
»Vijay Kumar, wir haben telefoniert.«
Sie nickte knapp und trat wortlos zur Seite, um mich hereinzulassen. Ich entschuldigte mich für die Verspätung, doch das schien sie nicht zu interessieren. Zielstrebig ging sie vor mir her, ein paar Stufen einer weißen Marmortreppe hinauf, durch ein geschmackvoll eingerichtetes Entree, in dem es nach Zimt und Rosenblättern roch, und dann durch eine der unzähligen Türen, die von der Diele abgingen. Ohne sich auch nur einmal nach mir umzudrehen oder ein wenig belanglos zu plaudern, führte sie mich in eine Art Salon und bot mir da mit einer bestimmenden Handbewegung und einem steifen Lächeln einen teuer aussehenden Sessel an. Sie selbst setzte sich auf das Sofa gegenüber und blätterte in irgendwelchen Unterlagen. Ich kam mir vor wie bei einem Bewerbungsgespräch. Unauffällig beobachtete ich sie. Frau von Salis-Stadelmann war etwa fünfundvierzig, hatte ein mediterranes Aussehen durch einen gebräunten Teint, der erfreulicherweise nicht ins Orangefarbene der eifrigen Solariumgänger abrutschte. Weder war sie geliftet noch faltenfrei gespritzt, die Muskulatur ihrer Stirn und um die Augen funktionierte einwandfrei. Das dunkle Haar hatte sie straff zu einem Zopf gebunden, was ihr trotz der strengen Haltung etwas mädchenhaft Anmutiges verlieh. Sie trug, was wohlhabende Frauen in ihrem Alter und mit einer schlanken Statur halt so trugen, jedenfalls diejenigen mit Geschmack: weiche, gut sitzende Stoffe in erdigen Farben, dazu wenig, aber stilsicheren Schmuck.
Abwartend ließ ich meinen Blick über die Bilder an der Wand schweifen. Ich erkannte einen Picasso und einen Cézanne und zweifelte keinen Augenblick daran, dass sie echt waren. Quer zum Sofa stand eine Mahagonitruhe, von der aus mich ein ausgestopftes Wiesel mit starrem Blick und aufgerissenem Maul fixierte. Was für ein Stilbruch, dachte ich entsetzt. Unauffällig beugte ich mich vor, um die gerahmten Familienfotos neben dem Wiesel zu betrachten, als lautlos ein eingeschüchtert aussehendes Mädchen hereintrat, um Tee in zierlichen Porzellantässchen zu servieren. Es deutete unsicher auf ein Kännchen Milch und eine viergeteilte Glasschale, in der sich verschiedene Zuckersorten befanden, flüsterte »Zitrone?«, nickte erleichtert, als ich verneinte, und stellte zuletzt einen Teller mit pastellfarbenem Konfekt, das unverkennbar aus Zürichs bekanntester Confiserie stammte,
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