Fangschuss
schwarz gewesen, die Wunden hatten wie glänzende Lippen auf seinem Bauch auseinandergeklafft. Ramiz hatte ihn abgestochen wie ein Tier. Gnadenlos und unbarmherzig. Wie kaltblütig musste jemand sein, der so etwas fertigbrachte? Einen Kollegen, einen Freund abzuschlachten, der eben noch mit einem auf dem Sofa gesessen und gekifft hatte. Und was sollte damit verhindert werden? Was für Informationen waren das, die unter keinen Umständen weitergegeben werden durften? Worüber hatte sich Philipp mit Winkler gestritten? Was hatte er überhaupt dort gewollt? Und wo war er jetzt? Ich hatte das Gefühl, dass ich in etwas hineingeraten war, das größer und gefährlicher war, als ich angenommen hatte. Etwas, das auch mein Leben bedrohen konnte. Darauf hatte man uns im Fernkurs nicht vorbereitet. War es am Ende meine Schuld, dass Murat nicht mehr lebte? Diese Möglichkeit traf mich wie ein Fausthieb. Ich schaffte es immerhin bis ganz nach unten und dann noch über die Straße, bevor ich hinter einer der Baracken neben den Gleisen zusammenbrach und mich übergeben musste wie noch nie zuvor.
Benommen wankte ich nach Hause, nahm die Flasche Amrut aus dem Briefkasten und ließ mich in den Sessel hinter meinem Schreibtisch fallen. Ich schenkte mir ein großes Glas ein und versuchte, die peinigenden Bilder mit Whisky wegzuschwemmen, doch es gelang mir nicht, sie gingen nicht weg. Nicht Murat, wie er in seinem Blut lag, nicht Zamira, wie sie leichenblass und hoffnungslos ins Leere starrte, und auch die quälende Frage blieb, ob ich mitschuldig war an seinem Tod. Ich leerte das Glas, erhob mich und schaute aus dem Fenster. Ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass ich soeben irgendeine Art von Unschuld verloren hatte, der Job war plötzlich viel ernster geworden, als ich ihn jemals zu nehmen bereit gewesen war. Ich schüttete ein weiteres Glas Whisky in mich hinein und immer weitere, bis das Zimmer bedenklich in Schräglage geriet. Draußen erhob sich ein unruhiger Wind, Papierfetzen wirbelten über die Straße und es roch nach Staub. Von Westen her zogen dunkle Wolken auf und ballten sich drohend über Höngg. Bald würde es zu regnen beginnen.
Donnerstag
Der VW knurrte vor sich hin, während ich im Schritttempo über den Löwenplatz fuhr und der Regen monoton gegen die Windschutzscheibe prasselte. Im Radio zupfte wieder eine dieser kulleräugigen Asthmatikerinnen melancholisch auf der Gitarre rum und flüsterte dazu kurzatmig unerfreuliche Lebenserfahrungen, was ausnahmsweise hervorragend zur Stimmung draußen und in mir drin passte. Vor dem Eingang des Globus wuselten Menschenmassen durcheinander, als wäre das noble Kaufhaus ein Bienenstock, in dem gerade Wespenalarm geschlagen wurde. Ich dachte an den Telefonanruf, den ich frühmorgens beinahe noch schlafend und definitiv noch nicht nüchtern entgegengenommen hatte und der mir einen weiteren Auftrag bescherte. Das Geschäft lief besser, als ich es mir wünschte. Viel lieber hätte ich meinen Rausch ausgeschlafen und dann weiter nach Philipp gesucht. Der Junge schwebte wahrscheinlich in großer Gefahr, ich spürte, dass ich mich beeilen musste. Andererseits brauchte ich das Geld, das mir der neue Auftrag einbringen würde. Eine simple Angelegenheit, wie es schien. Eine sehr distinguiert klingende Dame vom Zürichberg wollte, dass ich ihren Mann beschattete, da sie vermutete, er habe eine Affäre. Klassisches Privatermittlerzeugs. Das würde ich nebenbei erledigen.
Ich trommelte einen Marsch aufs Lenkrad und bereute, nicht den öffentlichen Verkehr gewählt zu haben. Mit dem Auto kam man einmal mehr nicht vorwärts in dieser Stadt. Misslaunig beobachtete ich die Passanten und fragte mich, wieso sich auch diejenigen mit den aufgespannten Schirmen unter den Vordächern und den Hauswänden entlangdrückten und so in Kauf nahmen, jemandem, der ohne unterwegs war, die Augen auszustechen. Es gab Dinge, die konnte mir keiner erklären. Die Zupfliese wurde zugunsten eines Straßenzustandsberichts ausgeblendet, danach folgte die ermunternde Nachricht, dass es in den nächsten Tagen so weiterregnen würde. Etwas, das Tina Turner, die angeblich ihre Milch und Brötchen ebenfalls im Globus kaufte, sogleich mit einem kratzbürstigen I Can’t Stand The Rain kommentierte. Meine Laune verbesserte sich merklich.
Im Schneckentempo kroch ich hinter einem burgunderroten Alfa Romeo am Bahnhof vorbei, doch nachdem ich die Brücke mit dem Coop -Provisorium hinter mir gelassen hatte, ging es
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