Fangschuss
mich kurzfristig, als sie die Tür aufriss und laut keifend hereinstürzte. Doch Doktor Seeholzer wedelte sie mit einer ungehaltenen Handbewegung wieder hinaus. Dann herrschte wieder Schweigen. Meine Einfälle schienen alle in der Mittagspause zu sein. Wir starrten uns an.
Seeholzer atmete tief durch. »Sie müssen etwas sagen. Wenn man unangemeldet ins Büro eines Bankdirektors hereinplatzt, muss man etwas sagen. Das ist in unserer Kultur so.«
»Ich würde gern dem Geheimbund der Diana beitreten.«
Immer schön mit der Tür ins Haus fallen, wie man uns das im Fernkurs beigebracht hatte. Seeholzer starrte mich perplex an. Der Einstieg war mir geglückt, dachte ich, doch dann begann er, lauthals zu lachen. Es klang mehr nach einem heiseren Bellen. »Sie?«
Er wischte sich eine Träne aus dem Auge.
»Wieso auch nicht?«
»Hören Sie, Sie Scherzkeks. Beim Geheimbund der Diana wird man nicht einfach so Mitglied wie bei einem Kaninchenzüchterverein oder einem Fitnessstudio. Man muss die nötigen Voraussetzungen mitbringen.«
»Die da wären?«
Er musterte mich spöttisch. »Nichts, was Sie bieten könnten. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Ich war gerade am Meditieren.«
So schnell gab ich nicht auf. »Ich habe gehört, Sie seien ein leidenschaftlicher Jäger.«
»Sie platzen in mein Büro, um mit mir über die Jagd zu reden?«
»Irgendetwas muss man ja sagen, das haben Sie eben selbst empfohlen.«
»Das ist durchaus richtig. Nur frage ich mich, wieso ich ausgerechnet mit Ihnen über die Jagd reden sollte. Oder wieso ich überhaupt mit Ihnen reden sollte.«
»Weil auch ich ein Jäger bin.«
»Ach.« Sein kalter Blick fixierte mich. Ich kam mir jetzt vor wie eine Haselmaus vor der Anakonda. Wie ich es auch wendete, mir schien hier eindeutig die Rolle der Beute zugedacht zu sein.
»Was jagen Sie denn?«
»Nur Großwild.«
Er nickte wohlwollend. »Gut so. Alles andere ist Kinderkram.«
»Sehe ich genauso.«
Auf seinen dünnen Lippen erschien ein angedeutetes Lächeln, doch seine Augen blieben reptilartig starr. Mir wurde eiskalt. Es war, als blickte er durch mich hindurch. Totenstille herrschte.
»Wir haben uns noch gar nicht vorgestellt. Meinen Namen wissen Sie zweifelsohne, andernfalls steht er auf dem Messingschild neben der Tür. Durch die Sie demnächst hinausgehen werden.«
Ich lächelte unverbindlich. »Sehr erfreut, Vijay Kumar.«
»Sie sind Perser?«
»Inder.«
Ruckartig richtete er sich auf und war mit einem Schlag Feuer und Flamme. »Inder? Ach, fantastisch! Warum sagen Sie das nicht gleich? Indien war ja lange das Land der Großwildjagd. Auf Elefantenrücken tagelang durch den Dschungel, geplagt von der drückenden, feuchten Hitze, von Moskitos umschwirrt, bis man endlich den ersehnten Tiger vor der Flinte hatte. Shikar, wie die Einheimischen sagen. Muss das wunderbar gewesen sein.«
Verzückt blickte er mich an und klatschte in die Hände. »Die Jagd also!« Er legte genießerisch den Kopf in den Nacken und fixierte einen Punkt, der sich etwa zwei Meter über mir befinden musste.
»Das Ursprüngliche, das Echte! Das suchen wir doch alle. Draußen in der Natur, weit weg von der Zivilisation, den Normen, den einengenden Zwängen, nur da spüren wir uns noch richtig. Hier ist alles digitalisiert, technologisiert, alles findet in einer virtuellen, nicht mehr greifbaren Welt statt. Man lässt sich mit Internetradio wecken, bestellt seinen Lunch online beim Chinesen, verfolgt die Aktienkurse auf der Börsenhomepage, erledigt seine Post am Bildschirm, bevor man sich in Singapur an einer Videokonferenz beteiligt, verabredet sich bei Facebook und beschimpft sich anschließend im Chatroom − nichts ist mehr greifbar, nichts ist mehr echt. Nur noch da draußen, in der Natur, ist es möglich, seine wahren, ursprünglichen Kräfte zu entdecken. Die Natur, wo ein Mann noch ein Mann sein kann, seinen Mann stehen muss, nur da sind wir uns nah, nur da sind wir wir selbst.«
Ich gähnte verhalten. Ich hatte ihn als eiskalten Finanzhai eingeschätzt, doch was da vor mir saß, war ein pathetischer, esoterisch angehauchter Schwafler. Was die Wirtschaftskrise aus gewissen Leuten bloß machte.
»Aber Indien ist immer noch ein Traum für mich. Ein ferner, leuchtender Traum. Was für ein wunderbares Land, welch fantastisches Essen und die wundervollen Menschen erst! Dort würde ich gern mal auf die Jagd gehen. Leider habe ich bislang nur in den hiesigen Bergen gejagt.«
»Und das sagt Ihnen nicht
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