Fantasien der Nacht
bandagiert, doch sie wusste, dass die Bandagen nicht helfen würden. Sie würde sterben. Sie konnte es spüren.
Dann war der große dunkle Mann neben ihrem Bett aufgetaucht. Schon damals war ihr sein Gesicht vertraut gewesen. Sie kannte seinen Namen nicht, aber das war nicht von Belang. Er war ihr Freund … Sie hatte ihn schon zuvor gesehen, auch wenn sie es sich nicht anmerken ließ. Sie spürte, dass er nicht gesehen werden wollte, und sie wollte ihn nicht verschrecken.
Normalerweise kam er nachts, um nach ihr zu sehen. Bei ihm fühlte sie sich sicher und geborgen. Sie wusste, dass er sie liebte. Sie fühlte es, so wie man die Hitze einer Kerze spüren konnte, wenn man die Hand in die Nähe der Flamme hielt.
Sie war heilfroh, dass er hier bei ihr war. Aber auch traurig, weil er weinte. Er blieb lange neben ihrem Bett stehen, streichelte ihr Haar und war sehr traurig. Sie wollte mit ihm sprechen, aber sie war so schwach, dass sie kaum imstande war, die Augen zu öffnen. Nach einer Weile tat er etwas. Er verletzte sich selbst. An seinem Handgelenk war ein Schnitt, den er gegen ihre Lippen presste.
Im ersten Moment dachte sie, dass sie den Schmerz fortküssen sollte, damit es nicht mehr wehtat, so wie ihre Mutter es manchmal bei ihr machte. Doch sobald das Blut ihre Zunge berührte, spürte sie, wie etwas durch sie hindurchschoss … genau wie damals, als sie das durchgescheuerte Kabel einer Lampe berührt hatte. Bloß dass es dieses Mal nicht wehtat und ihr auch keine Angst einjagte wie seinerzeit. Genauso durchfuhr es sie jetzt, und mit einem Mal wusste sie, dass er ihr die Medizin verabreichte, die sie brauchte, um wieder gesund zu werden, und sie schluckte sie.
Sie spürte, wie sie mit jedem Schluck stärker wurde. Eine ganze Weile später zog er sein Handgelenk fort und wickelte ein sauberes weißes Taschentuch darum. Er sank auf den Stuhl neben dem Bett und war fast so weiß wie das Taschentuch. Er fühlte sich schwach und müde, während sie sich stärker und gesünder fühlte. Sie wusste, dass sie wieder gesund werden würde. Und als sie ihn erneut anblickte, kannte sie auf einmal seinen Namen.
Tatsächlich wusste sie aus irgendeinem Grund plötzlich alles über ihn. Sie setzte sich im Bett auf und lauschte ihm, als er ihr Geschichten erzählte und Gutenachtlieder sang. Er war ihr Held, und sie vergötterte ihn. Es brach ihr das Herz, als er schließlich gehen musste.
Tamara schüttelte sich und wischte die Tränen fort. „Ich erinnere mich“, sagte sie zu ihm. „Oh Eric, ich erinnere mich.“
Seine einzige Reaktion bestand in einem unmerklichen Flackern seiner Lider. Seine Lippen formten das Wort „Geh“.
„Nicht ohne dich“, sagte sie.
„Zu … schwach.“ Es kostete ihn unglaubliche Mühe, diese Worte hervorzubringen. Sein Gesicht war vor Anstrengung gezeichnet. „Geh schon.“
„Niemals“, flüsterte sie. „Selbst wenn ich dich auf dem Rücken tragen müsste, Eric, selbst wenn ich hinauskriechen müsste … Eher würde ich mir die Handgelenke aufschlitzen, als dich hier zurückzulassen mit …“ An dieser Stelle brach sie ab.
Er zwang ein weiteres Mal seine Augen auf und blickte sie an. „Nein. Du … zu schwach … könntest zu viel … verlieren.“
Ohne auf ihn zu achten, warf Tamara einen Blick auf das Tablett und griff nach einem Skalpell. „Nein …“ Er legte so viel Kraft in das Wort, wie er nur aufzubringen vermochte. „Könntest … sterben …“
Sie biss die Zähne zusammen und zog die Klinge über ihren Unterarm. Sie zwang den kleinen Schnitt an seinen Mund. Zu schwach, um sich gegen sie zur Wehr zu setzen, blieb Eric keine andere Wahl, als zu schlucken.
Langsam floss ihr Blut in ihn, doch aufgrund der Blutproben, die Curtis ihr entnommen hatte, fühlte sie sich schon bald schwach und schwindelig. Ihr Kopf kreiste, und der Raum um sie her begann sich zu drehen. Eric stieß sie von sich, packte den Riemen, der sie zuvor an den Stuhl gefesselt hatte, und band ihn gleich oberhalb des Schnitts fest um ihren Arm.
Sie hörte undeutlich, wie sich die Tür öffnete, nur Sekundenbruchteile bevor sie von Eric fortgerissen wurde. Curtis wirbelte sie herum und donnerte seine Faust gegen ihre Schläfe, um sie auf die Knie zu schicken. Sie blinzelte benommen, als sich die Decke über ihr drehte, und versuchte zu erkennen, was vor sich ging.
Eric stand da, während Curtis eine Spritze aus einem der Regale fischte. Geduckt und bereit wartete er. Eric nahm dieselbe Position
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