Fantasien der Nacht
gaukelt dir Gefühle vor und bringt dich dazu, zu denken, du würdest ihn kennen. Du hast das Gefühl, ihr wärt die besten Freunde, aber du kannst dich nicht entsinnen, wann und wo ihr euch zuerst getroffen habt. Du vertraust ihm instinktiv – bloß dass nichts davon mit Instinkt zu tun hat. Es ist sein verdammter Geist, der deinem befiehlt, ihm zu vertrauen. Dazu ist er imstande, musst du wissen. Er kann deinen Kopf mit all diesen vagen Gefühlen für ihn vollstopfen und dich dazu bringen, die zu ignorieren, die echt sind.“
Lieber Himmel, könnte er recht haben?
„Du bist verwirrt, Tam“, fügte Daniel langsam und mit Bedacht hinzu. „Nachts hält er dich mittels der Macht wach, die er über dich hat. Das ist der Grund dafür, warum du glaubst, nur tagsüber schlafen zu können. Dann ruht er. Er kann deine Gedanken am Tage nicht beeinflussen. Indem er sich die gesteigerte Empfänglichkeit zunutze macht, die der Schlafmangel bei dir auslöst, erlangt er mehr und mehr die Kontrolle über deinen Verstand. Glaub mir, Liebes, ich habe derlei bereits erlebt.“
Sie blickte von einem zum anderen, während sich in ihr ein widerlicher Gedanke breitmachte. Was sie sagten, ergab durch und durch Sinn. Dennoch sagte ihr Herz ihr voller Gewissheit, dass sie sich irrten. Oder war dieses Gefühl lediglich in ihrem Kopf – von Eric dort eingepflanzt? Wie konnte sie unterscheiden, was sie tatsächlich fühlte und was er sie fühlen ließ?
„Aus welchem Grund sollte ich dich belügen, Tam?“, fragte Daniel.
Sie schüttelte den Kopf. Sie fand sich außerstande, die Wahrheit zu sagen. Es kam ihr vor, als würde sie Eric betrügen, wenn sie es tat. Zugleich hatte sie das Gefühl, Daniel und Curtis zu hintergehen, wenn sie es nicht tat. Ihr war, als würde sie in zwei Hälften gerissen.
„Das spielt keine Rolle, weil du damit falschliegst. Seit jener Nacht bei der Eisbahn habe ich ihn nicht mehr gesehen. Ich habe überhaupt nicht an ihn gedacht, außer wenn ihr zwei mir mit ihm auf die Nerven gegangen seid. Und meine Schlaflosigkeit lag bloß an dem Stress. Jetzt habe ich keinen mehr, und ich schlafe wieder bestens. Um ehrlich zu sein, ich würde mich jetzt gern hinlegen.“
Sie erhob sich, ging an ihnen vorbei und marschierte die Treppe hinauf zu ihrem Zimmer. Sie ließ sich auf ihr Bett fallen und presste ihr Gesicht in die Kissen. Bis zum Morgengrauen würde sie kein Auge zutun. War Eric der Grund dafür? Versuchte er, Macht über ihren Verstand zu gewinnen?
Liebe Güte, wie sollte sie das jemals mit Bestimmtheit wissen? Sie hatte selbst gesagt, dass sie in seiner Nähe keinen klaren Gedanken fassen konnte. Und hatte er ihr in jener Nacht auf dem Balkon nicht bewiesen, dass er imstande war, die Kontrolle über sie zu übernehmen?
Sie setzte sich im Bett auf, die Augen weit geöffnet. Wie konnte sie es aufhalten?
„Ich darf ihn nicht wiedersehen“, flüsterte sie. „Ich muss mich von ihm fernhalten und versuchen, mir ein Bild von der Lage zu machen, ohne dass ich unter seinem Einfluss stehe. Ich muss objektiv bleiben.“ Sobald sie diesen Entschluss gefasst hatte, begann ihr Herz zu zerbröckeln, als bestünde es aus Kristall, das mit einem Vorschlaghammer bearbeitet wurde. „Ich darf ihn nicht wiedersehen“, wiederholte sie, und die Kristallbruchstücke wurden zu Staub zermahlen.
Keith
8. KAPITEL
„Sie verabscheut mich.“ Eric blickte von dem Mikroskop auf, als er hörte, wie sein Freund das Labor betrat, in dem er sich nun schon die dritte Nacht in Folge verschanzte.
„Sie mag Angst vor dir haben, Eric, aber es verhält sich so, wie du gesagt hast. Sie wurde von einem Mann großgezogen, der uns für Ungeheuer hält. Lass ihr Zeit, sich an diesen Gedanken zu gewöhnen.“
„Sie ist angewidert von diesem Gedanken.“ Eric presste vier Fingerspitzen gegen den dumpfen Schmerz in der Mitte seiner Stirn. „Und ich kann nichts tun, um daran etwas zu ändern. Trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, dass sie in Schwierigkeiten steckt.“
Roland runzelte die Stirn. „Sind die Albträume etwa zurückgekehrt?“
„Nein, und sie ruft auch nicht länger nach mir. Aber seit ich sie das letzte Mal gesehen habe, hat sie nicht mehr geschlafen. Ich spüre ihre Erschöpfung so deutlich, dass es an meiner eigenen Kraft zehrt. Sie kann so nicht weitermachen.“
„Seit du sie das letzte Mal gesehen hast? Eric, das sind eben drei Nächte …“
„Vier, heute mitgerechnet. Sie steht am Rande eines Zusammenbruchs. Ich
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