Fantasien der Nacht
orderte, sagte Tamara: „Machen Sie zwei draus.“
Die Unterhaltung sprudelte wie in alten Zeiten, vor den Albträumen und den schlaflosen Nächten. Für kurze Zeit fühlte sie sich wie eine ganz gewöhnliche Frau mit einem intakten, gesunden Verstand. Der Abend ging viel zu früh zu Ende. Draußen auf dem Parkplatz verabschiedete Tamara sich widerwillig und eilte zu Daniels Wagen. Sie versuchte sich über ihren Zustand klar zu werden, bevor sie sich hinter das Steuer setzte.
Sie zählte die Drinks, die sie sich gegönnt hatte, und dann die Anzahl der Stunden. Vier und vier. Sie fühlte sich gut. Nachdem sie sichergestellt hatte, dass ihre Fahrtüchtigkeit nicht beeinträchtig war, ließ sie das Auto an, schaltete die Scheinwerfer ein und rollte vorsichtig aus der Parklücke.
Sie nahm an, dass sie sich mit dem Nachhausefahren Zeit lassen konnte. Sie würde Radio hören und nicht an die Dinge denken, die in ihrem Leben verquer liefen. Wenn sie zu Hause ankam, würde sie sich ein gutes Buch aus einem von Daniels Regalen schnappen und sich beim Lesen darin verlieren. Sie würde sich keine Sorgen wegen Vampiren oder Gehirnwäschen oder Irrenanstalten machen.
Gleichwohl, der platte Reifen machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Sie dankte ihrem Schutzengel dafür, dass sie sich in der Nähe einer Ausfahrt befand, und fuhr ab, während der Wagen über den Seitenstreifen dahinhumpelte. Sobald sie zu einer halbwegs geeigneten Stelle gelangte, brachte sie das schlachtschiffgroße Fahrzeug zum Stehen.
Dann saß sie einen Moment lang da und trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad herum. Ich habe den Ersatzreifen nicht erneuert, rief sie sich selbst ins Gedächtnis.
Sie blickte auf und entdeckte weiter vorn ein großes erleuchtetes Tankstellenschild, keine hundert Meter entfernt. Mit einem resignierten Seufzen öffnete sie die Wagentür und hängte mit dem Daumen den Gurt ihrer Handtasche über ihre Schulter. Sie hielt einen Moment lang inne und hoffte, der Tankwart möge so zuvorkommend sein, sie zurück zu ihrem Auto zu fahren … und vielleicht sogar den Reifen für sie zu wechseln.
Bei diesem Gedanken lachte sie beinahe laut auf. Sie wusste sehr wohl, dass sie in wenigen Minuten zu Fuß zu ihrem Wagen zurückkehren würde, einen neuen Reifen vor sich herrollend. Zum Glück war sie im Reifenwechseln nicht unerfahren.
Sie spazierte am Seitenstreifen entlang, froh darüber, dass der Asphalt vor ihr zusätzlich zum Mondlicht auch noch von Straßenlaternen erhellt wurde. Trotzdem schwand ihre gute Laune dahin, als eine Wagenladung lachender Jugendlicher an ihr vorbeifuhr; ungeachtet der nahe des Gefrierpunkts liegenden Temperaturen dröhnte aus den offenen Autofenstern Heavy-Metal-Musik, untermalt von quietschenden Reifen, als das Fahrzeug unvermittelt zum Stillstand kam.
Zwei Männer – Jungen, um genau zu sein – stiegen aus und standen schwankend da; der Grund hierfür befand sich aller Wahrscheinlichkeit nach in den Flaschen, die sie in den Händen hielten.
Tamara kam zu dem Schluss, dass es besser war, zur Tankstelle zu fahren, selbst auf die Gefahr hin, dass sie sich dabei die Felge ruinierte, und machte auf dem Absatz kehrt. Sobald sie das tat, legte der rostige Mustang den Rückwärtsgang ein und schoss an ihr vorüber. Diesmal hielt der Wagen auf dem Seitenstreifen, und der Fahrer stieg aus. Langsam kam er auf sie zu. Der Gegenstand in seiner Hand, in dem sich reflektierend das Licht brach, war keine Flasche. Es war ein Messer.
Sie versteifte sich, als sie sie umzingelten; zwei kamen von hinten, einer von vorn. In diesen schier endlosen Sekunden kam nicht ein einziges Auto vorbei. Sie überlegte, ob sie zur Seite sprinten sollte, doch auf diesem Wege würde sie lediglich in einer Sackgasse aus Buschwerk enden, in der sie sie ohne Schwierigkeiten erwischen würden.
Sie kam zu dem Schluss, dass es am besten war, es hier zu versuchen. Jeden Augenblick würde ein Auto vorbeikommen; sie würde mit den Armen winken … und sich dem Wagen in den Weg stellen, falls nötig.
Tamara warf den beiden Jugendlichen über die Schulter einen Blick zu. Einer trug eine zerfetzte Jeans und ein schlichtes, nicht zugeknöpftes Hemd, das im eisigen Wind um seinen nackten dürren Oberkörper flatterte. Der andere trug Jogginghosen und eine Lederjacke. Beide sahen aus, als bräuchten sie dringend ein Bad und einen Haarschnitt; auch fiel es ihr schwer, zu glauben, dass sie ihr etwas zuleide tun würden. Sie hatte nicht den
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