Fantasien der Nacht
gekommen. Ich habe dich gerufen …“
Er kämpfte gegen die Tränen an, die seine Sicht zu trüben drohten, und strich das zersauste Haar aus ihrem Antlitz. „Ich konnte nicht anders. Und du solltest nicht so überrascht darüber sein. Ich habe dir gesagt, dass ich kommen würde, nicht wahr?“
Sie nickte.
„Ich würde dich nie belügen. Das habe ich nie getan, und ich schwöre dir jetzt und hier, dass ich das auch künftig niemals tun werde.“ Er betrachtete sie in dem Wissen, dass sie ihm Glauben schenkte. Ihre Bluse war zerrissen und hing in Fetzen von einer ihrer Schultern herab. Der Reißverschluss ihrer Jeans stand weit offen. Sie war nass vom Schnee und zitterte sowohl vor Kälte als auch als Reaktion auf die Ereignisse, daran hegte er keinerlei Zweifel.
Er trug sie die Böschung hinauf zur Fahrbahn. Roland, der die ganze Zeit über auf der Straße gewesen war, ging um das Fahrzeug herum, und Eric sah den Reifen auf der Straße liegen. Roland hielt den Wagenheber nebst Handgriff in den Händen und warf beides in den offenen Kofferraum.
Als Eric das Auto erreichte, blickte er erneut auf Tamara herab. Noch immer klammerte sie sich fest an ihn. „Bist du verletzt? Kannst du stehen?“
Sie hob ihren Kopf von seiner Schulter. „Ich bin in Ordnung, außer dass mir ein bisschen zittrig zumute ist.“
Vorsichtig ließ Eric sie auf die Fahrbahn sinken und öffnete die Beifahrertür des Wagens. Er stützte sie an der Schulter, als sie einstieg. Roland warf gerade den platten Reifen in den Kofferraum und schlug die Klappe zu. „Wo sind die anderen?“, rief Eric zu ihm hinüber.
Roland antwortete im Geiste, ohne die Worte auszusprechen. Die sind gerannt wie die Karnickel, mein Freund.
Du hast sie einfach so gehen lassen? Du hättest sie dafür verprügeln sollen, Roland, antwortete Eric lautlos und verfiel unbewusst in seine alte Angewohnheit, auf diese Art und Weise mit seinem Freund zu sprechen.
Was ist mit dem Angreifer? Hast du ihn umgebracht?
Noch nicht. Erics Wut kehrte zurück, als er daran dachte, dass es dem Mistkerl beinahe gelungen wäre, Tamara zu vergewaltigen. Aber ich habe die Absicht, es zu tun, und dann nehme ich mir diese armseligen Hundesöhne zur Brust, die ihm dabei geholfen haben.
Du bist kein Mörder, Eric. Und die anderen beiden waren kaum mehr als Jungs. Lass die Angelegenheit auf sich beruhen. Das wird das Beste sein.
Tamara erhob sich von ihrem Sitz im Wagen, und Eric fiel auf, dass er den Verschlag nicht geschlossen hatte. Ihre Hand kam auf seiner Schulter zu liegen, und überraschend ruhig sagte sie: „Roland hat recht, Eric. Das waren bloß Kinder. Wenn sie sehen, was du mit ihrem Kumpel angestellt hast, werden sie begreifen, welches Glück sie heute Nacht hatten. Und wir beide wissen, dass du nicht einfach zurückgehen und den Mann kaltblütig ermorden kannst. Das ist nicht deine Art.“
Beide Männer sahen sie an, und Rolands Blick drückte Erstaunen aus. Er hob die Augenbrauen und sprach laut: „Ich schätze, daran werde ich mich erst gewöhnen müssen. Es ist seltsam, sich vorzustellen, dass ein Mensch meine Gedanken hören kann. Obwohl ich annehme, dass das bloß dann möglich ist, wenn ich mich mit dir unterhalte, Eric. Sie hört, was du hörst.“
Eric nickte. Er ließ den Mantel von seinen Schultern gleiten und legte ihn wie eine Decke um sie. „Sie hört, was ich höre“, wiederholte er. „Sie kann fühlen, was ich fühle, wenn sie sich nur ausreichend darauf konzentriert. Sie kann meine Gedanken und meine Gefühle lesen. Ich kann nichts vor ihr verheimlichen.“
Er sprach mit Roland, doch seine Worte waren für Tamaras Ohren bestimmt. Er sehnte sich danach, ihr Vertrauen zu besitzen. „Ich werde sie nach Hause fahren. Lust, mitzukommen?“
Roland trat einen Schritt von dem Fahrzeug zurück, als fürchtete er, es könne ihn beißen. „Da drin?“
Tamara lächelte. Ihr Blick wanderte zu Eric, und auch er lächelte. Mit ihr würde alles wieder in Ordnung kommen.
„Es freut mich, dass ihr beide meine Abneigung gegen diese Maschinen so amüsant findet. Ich ziehe es jedoch vor, aus eigener Kraft zu reisen, vielen Dank auch.“ Mit einem dramatischen Wirbeln seines schwarzen Umhangs verschwand er in der Dunkelheit.
Eric schloss Tamaras Tür, ging um das Auto herum und stieg neben ihr ein. Einen Moment lang schaute er sie einfach bloß an und nahm die vertraute Schönheit ihres Gesichts in sich auf. Ihre Augen wanderten derweil gleichermaßen über sein
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