Fantasien der Nacht
nicht, dass ihr solcher Kummer zuteilwird.“ Er öffnete die Augen und suchte Rolands stirnrunzelnden Blick. „Es ist unvermeidlich.“
„Es ist alles andere als das. Sie könnte eine …“
„Denk nicht einmal daran, das vorzuschlagen.“ Eric wandte sich von seinem Freund ab; sein Blick schweifte durch den Raum, ins Nichts gerichtet. „Dieses Dasein ist mein Fluch. Ich will nicht, dass es auch ihrer wird.“
Rolands Stimme war leise, wenngleich schroffer. „Wenn es Einsamkeit ist, wovon du sprichst, dann versteht dich niemand besser als ich, Eric.“
„Du hast deine Einsamkeit selbst gewählt. Du willst es so. Meine kommt einer Einzelhaft gleich, die ich bis ans Ende aller Tage absitzen muss. Ich halte mich von anderen fern, weil ich niemandem trauen kann – nicht solange das DPI nach Mitteln und Wegen sucht, mich zu vernichten.“
„Meine Einsamkeit …“ Roland brach ab und schottete seinen Verstand zugleich gegen Erics Neugierde ab. Als er fortfuhr, klang seine Stimme ruhiger, gefasster. „Meine Einsamkeit steht hier nicht zur Debatte. Auch du müsstest nicht einsam sein, wenn du jemanden hättest, mit dem du dein Leben teilen könntest.“
Eric schloss die Augen und schüttelte den Kopf. „Ich habe bereits darüber nachgedacht, Roland. Ich habe meine Entscheidung getroffen.“
„Diese Entscheidung zu treffen steht dir nicht zu, mein Freund.“
Wut loderte in Eric auf. Sein Kopf ruckte in die Höhe, und er drehte sich langsam um, um Roland im Detail mitzuteilen, wohin er sich seine Bemerkung stecken konnte, als der Geruch allmählich in seinen Verstand sickerte. Er griff danach, wie ein Ertrinkender nach einem Rettungsring greifen würde, und konzentrierte sich mit seinem ganzen Selbst auf diese Empfindung, die von Tamara zu ihm drang.
Dieser Geruch … Die Furchen auf seiner Stirn vertieften sich. Sauber … steril. So grässlich vertraut.
Mit aufgerissenen Augen sah er Roland an. „Mein Gott, sie liegt im Krankenhaus!“
Eric eilte zur Tür, doch Roland versperrte ihm den Weg. „Warte, Eric. Wenn es um Tamara geht, lässt du jegliche Vorsicht vermissen.“ Er griff nach seinem Satinumhang und warf ihn sich mit einer lange geübten Armbewegung über die Schultern. „Ich wage kaum, mir auszumalen, in was für einen Schlamassel du ohne mich geraten würdest.“
„Gut.“ Eric hielt inne, als er die Tür erreichte. „Du kannst diesen Aufzug nicht in einem Krankenhaus tragen, Roland. Du siehst aus, als wärst du geradewegs den Seiten des Romans von diesem Stoker-Heini entstiegen.“
„Ich hege nicht die Absicht hineinzugehen. Ich kann solche Orte nicht leiden.“
Wie er es gesagt hatte, hielt sich Roland draußen im Schatten verborgen, während Eric der stetig deutlicher werdenden Spur von Tamara ins richtige Stockwerk folgte. Er nahm die Treppe und sandte die forschenden Fühler seines Geistes voraus, stets auf der Hut vor St. Claire und Rogers. Es dauerte nicht lange, bis er in unmittelbarer Nähe von Tamara einen Hinweis auf ihre Gegenwart auffing, selbst wenn er sie bei Weitem nicht so stark spürte, wie Tamara es tat.
Eric ließ seinen Blick den Korridor in der vierten Etage auf und ab wandern und hatte keine Mühe, das Zimmer zu finden. Er hätte es auch ohne Hilfe gewusst, obwohl der stämmige Bursche in dem dunkelgrauen Anzug, der vor ihrer Tür postiert war, keinen Zweifel zuließ. Obzwar Eric ihn nicht wiedererkannte, war ihm sofort klar, dass er zum DPI gehörte.
Wenn er Tamara sehen wollte, musste er einen anderen Weg finden. Schon beruhigte er sich ein wenig. Obwohl er fühlte, dass sie immer noch reichlich mitgenommen war, gewahrte er ihre Lebenskraft. Sie war wohlauf, das konnte er spüren.
Seine Erleichterung darüber war so gewaltig, dass er beinahe den metallenen einhängbaren Aktenordner übersehen hätte, der auf dem Tresen lag und um den sich die Krankenschwestern drängten. Auf einem weißen Klebestreifen auf der Vorderseite prangten Worte in schwarzer Tinte.
Dey, Tamara.
Eric erstarrte. Er musste einen Blick in diesen Ordner werfen! Nur so würde er das Ausmaß ihrer Verletzungen in Erfahrung bringen können, ebenso wie er Informationen darüber erhalten würde, was genau dazu geführt hatte, dass es sie hierher verschlagen hatte. Er schloss die Augen.
Roland? Bist du immer noch da draußen ?
Wo sollte ich sonst sein?, kam die gelangweilte Antwort.
Ich könnte hier drinnen ein Ablenkungsmanöver brauchen , erklärte Eric ihm.
Wird erledigt.
Eric
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