Fantastik AG
Professor.
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Zwergengold
Hinter dem Durchlass in der Mauer begann ein leicht
absteigender, ziemlich breiter und hoher, in rotes Gestein gehauener Gang.
Nach einigen Schritten bemerkte Theodor Verzierungen, die, vielfach
ineinander verschlungen, als wären sie wie Pflanzen aus dem Stein
herausgewachsen, die gesamte Höhe der Wände auf beiden Seiten des Ganges
bedeckten.
Als er genauer hinsah, erkannte er, dass die Verzierungen Figuren
darstellten, die sich in dem geisterhaften Licht, das in dem Gang herrschte,
leicht zu bewegen schienen, als wären sie lebendig.
»Es sind Teile der Geschichte der Fernen Länder«, sagte der
Professor. »Oder, wie es aussieht«, fügte er hinzu und lieà den Blick über
die unzähligen Reliefs schweifen, »scheint es sogar die vollständige
Geschichte zu sein. Sehen Sie.«
Der Professor zeigte auf eine
Figurengruppe. »Das ist die Krönung Firflins IX ., König der vier freien Völker der Gnome. Sie
können leicht die Reichsinsignien erkennen, die Vierfache Krone und das
Gewundene Zepter. Und diese beiden Figuren hier neben dem Thron, die
miteinander zu flüstern scheinen, dürften Prinz Turflin und der Kanzler sein,
die den Umsturz planen. Die Regierungszeit König Firflins dauerte wie lange?«
»Vom Dienstag der dritten Woche des achten Monats des Jahres 1465
nach Gnomischer Zeitrechnung bis zum folgenden Donnerstag«, antwortete Theodor
mechanisch.
Er hatte seinerzeit intensiv für die Gnomenhistorie II â Klausur gelernt.
»Sehr richtig. Und hier«, der Professor wies auf eine andere
Darstellung, »können Sie mir sagen, was dieses Relief zeigt?«
»Ãhm«, begann der Student, »das ist ⦠das müsste ⦠war das nicht
irgendetwas aus den ⦠Elfenchroniken?«
»Ich bitte Sie. Es ist doch mehr als offensichtlich: Königin
Hymnia blickt in den Sternenbrunnen. Das ist Prüfungsstoff«, fügte Professor
Welk etwas vorwurfsvoll hinzu.
»Ich hatte mir grad letzten Monat vorgenommen, es noch einmal
durchzuarbeiten«, murmelte der Student schuldbewusst.
Ein kühler Luftzug kam ihnen jetzt
entgegen. Der Gang endete, und sie traten in einen weiten Höhlenraum, dessen
Boden mit weiÃem Sand bedeckt war. Hoch über ihren Köpfen glitzerten Quarzadern
in der Höhlendecke. Nach einigen Metern fiel der Boden sanft zum Ufer eines
unterirdischen, bläulich leuchtenden Sees ab.
»Und jetzt?«, fragte der Student. »Hier kommen wir nicht weiter,
es sei denn, wir schwimmen.« Er tauchte eine Hand in das Wasser. Es war
eiskalt.
»Seien Sie mal still.« Professor Welk lauschte angespannt. »Hören
Sie nichts?« Theodor nahm es jetzt auch wahr. Ein leises, sich rhythmisch
wiederholendes Plätschern, das langsam näher kam. SchlieÃlich bog um die
Höhlenwand, die den hinteren Teil des Sees verdeckte, ein kleiner Kahn, in dem
aufrecht eine einzelne Gestalt stand, die das Boot mit den StöÃen einer langen
Stange vorantrieb.
»Was oder wer ist das?«, fragte Theodor.
»Ich denke, das werden wir gleich
herausfinden«, antwortete der Professor, »es scheint in unsere Richtung zu
kommen.«
Wirklich steuerte der Kahn das diesseitige Ufer an. Als er nahe
genug herangekommen war, sah der Student zu seinem Erstaunen, dass dem
Bootsführer zwei groÃe gewundene Hörner aus der Stirn wuchsen.
Das Gesicht des Wesens erinnerte an das eines Ziegenbocks, und seine
mit struppigen Haaren bewachsenen Beine endeten in Hufen.
»Seid gegrüÃt, ihr Reisenden zwischen den Welten«, rief es mit
meckernder Stimme.
»Ãhm, entschuldige, wenn ich so direkt frage«, erwiderte der
Student, der sich plötzlich an eine bestimmte Symboltradition erinnerte,
»aber: Bist du der Tod?«
Das Wesen lachte krächzend, und das Geräusch echote geisterhaft
durch die Höhle.
»Tod«, lachte es, »Tod ist nur ein flüchtiges Wort für das Jenseits
der Sprache.
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Jagst du nach schwindenden Schatten
Im dunkel strömenden Fluss:
Was bangend du begreifst
Ist dein und ist nicht dein.«
Der Student kniff kritisch ein Auge zu. Diese Antwort
schien ihm bemerkenswert wenig zu erklären.
»Also, bist du jetzt der Tod, oder nicht?«, fragte er misstrauisch.
»Bin ichâs, bin ichâs nicht?«, meckerte das Ziegenwesen. »Ich
bin der Fährmann. Das ist alles, was es zu sagen
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