Fantastik AG
Unterschied
war höchstens ein rein semantischer: »Theodor, der tollkühn im offenen Kampf
einem Drachen unterlag« hörte sich geringfügig heldenhafter an als:
»Theodor, der sich tapfer von einem Drachen fressen lieë.
»Ich weise Sie sogar darauf hin«,
mahnte Professor Welk, »dass wir â und das gilt für unseren gesamten
Aufenthalt in den Fernen Ländern â jede aktive Einflussnahme auf das
Kausalgefüge der Welt vermeiden sollten. Wir sind hier als Wissenschaftler â
und das heiÃt, unser Auftrag lautet: Beobachtung aus der Distanz. Die Fernen
Länder sind ein fragiles phantastisches System, dessen Gleichgewicht durch die
geringste Fremdeinwirkung empfindlich gestört werden kann. Das gilt natürlich
auch und insbesondere für das Töten von Drachen.«
Sie gingen weiter.
»Ich erhoffe mir vor allem ein anregendes Gespräch mit ihm«, sagte
der Professor nach einer Weile.
»Mit wem?«, fragte Theodor gedankenverloren.
»Mit dem Drachen.«
Der Student blieb abrupt stehen.
»Entschuldigung, ich habe da bestimmt etwas falsch verstanden.
Sagten Sie eben gerade, Sie beabsichtigen, mit dem Drachen zu reden ?«
»In der Tat, das sagte ich.«
Theodor starrte seinen Dozenten an. Der alte Phantastiker hatte
einen seltsamen Sinn für Humor, wenn Humor in diesem
Fall überhaupt die passende Bezeichnung war.
In seinen Vorlesungen hatte er in regelmäÃigen Abständen den immer
gleichen Witz erzählt (es ging um einen Kobold, der Komponist am Elfenhof
werden will), ohne dass sich dem Studenten durch die ständige Wiederholung das
SpaÃhafte des Ganzen irgendwie erschlossen hätte. Der Professor hingegen schien seinen Witz für den Höhepunkt der Komik
schlechthin zu halten, und es vergingen immer einige ausgesprochen
peinliche Momente der Stille, hin und wieder unterbrochen von einem
unterdrückten Kichern, bis sich der Dozent so weit gefasst hatte, dass er mit
seinen Ausführungen fortfahren konnte.
Theodor entschied sich dafür â alles andere war zu schrecklich, um wahr zu sein â, die letzte Bemerkung seines
Dozenten ebenfalls unter der Kategorie hoffnungslos
verschrobener Professoren-Humor einzuordnen.
»Oh. Ha, ha«, bemühte er sich, höflich zu lachen.
»Ich weià nicht, was es da zu lachen gibt«, sagte Professor Welk.
Der Student erbleichte (sofern Steintrolle dazu fähig sind). »Sie
meinen ⦠Sie haben das ernst gemeint?«
»Natürlich.«
»Aber ⦠warum ?«
»Weil, wie Sie wissen sollten, Drachen zu den intelligentesten
Geschöpfen der Fernen Länder gehören. Sie sind nur durch ihre gewissermaÃen
kleptomanische Fixierung auf Zwergenschätze etwas in Verruf geraten.«
»Und wegen ihrer Angewohnheit, praktisch alles zu fressen, was sich
bewegt. Oder es wenigstens einzuäschern.«
Der Professor überhörte den Kommentar. »Man wird nicht mehrere
Hundert oder sogar tausend Jahre alt, ohne ein beträchtliches Maà an Wissen
anzusammeln. Dieser Drache erinnert sich unter Umständen an wichtige
historische Ereignisse der Fernen Länder. Weil er sie leibhaftig miterlebt
hat!«
»Genau. Wahrscheinlich war er gerade zufällig anwesend, als ganze
Königreiche in Flammen aufgingen und Tausende starben. Etwas in der Art.«
»Laukzur, die Furchtbare GeiÃel des Himmels, hat Gentlin, dem
Weisen, seine Memoiren diktiert â eine der wertvollsten geschichtlichen
Ãberlieferungen, die wir besitzen!«
»Das Biest hat ihn gefressen!«
»Aber erst nach dem 25. Kapitel.«
Ein aus der Tiefe kommendes
Geräusch unterbrach das Gespräch. Es war ein lautes, unangenehmes Geräusch. Ein Grollen, das im Infraschallbereich
begann, den Boden unter Theodors FüÃen erbeben lieà und sich dann zu etwas
aufschwang, das sich anhörte, als hätten ungefähr fünfhundert Löwen einen
äuÃerst schlechten Tag erwischt.
»Wunderbar«, sagte der Professor und nahm gleich zwei Treppenstufen
auf einmal, »er ist wach.«
Dies ist das Protokoll Theodors, das er über die Begegnung
mit dem Drachen verfasste. Er bekam, obwohl es nicht ganz den Erwartungen
seines Dozenten entsprach, dafür den Nachweis einer qualifizierten Teilnahme
(woran auch immer).
Â
Protokollant:
Theodor Welk.
Seminar:
Selbstmord für Anfänger. 1. Lektion: Drachen.
Seminarleiter:
Prof.
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