Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Farben der Schuld

Farben der Schuld

Titel: Farben der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
Vom Netzwerk:
zu heben. Erst jetzt bemerkt sie die Schürfwunden und blauen Flecken und sobald sie nackt auf der Untersuchungspritsche liegt, krampft sich alles in ihr zusammen. Es tut so weh. Zum ersten Mal, seit sie am Morgen wieder zu sich kam, hat sie das Bedürfnis zu weinen.
    »Ruhig, ganz ruhig, Mädchen.« Die Ärztin beginnt etwas zu summen, während ihre Hände ganz sacht über Bats Körper gleiten. Eine kehlige Abfolge fremder Laute, die zu einer Melodie heranwachsen, die alt klingt und eigentlich ganz einfach, aber je länger Bat zuhört, desto mehr verfällt sie diesem dunklen Gesang, fast ein bisschen high wird sie davon und der Schmerz ebbt ab.
    »Was ist das, was Sie da singen?«, fragt sie, als die Ärztin eine Pause macht, um in ihr Diktiergerät zu sprechen.
    »Ein Joik. Ein uraltes Lied der Samen. Meine Großmutter singt das gern.«
    »Wo wohnt die?«
    »In Russland, ganz weit im Norden. Nördlich des Polarkreises.«
    Die dunklen Augen der Ärztin scheinen kurz in die Ferne zu schweifen, dann werden sie wieder klar. Sie beugt sich über Bats Gesicht, leuchtet ihr in die Augen.
    »Hat er dir irgendwas eingeflößt, weißt du das noch? Hast du in dem Haus was getrunken?«
    »Ich weiß nicht genau. Ich glaub, ja. Ich kann mich nicht erinnern.«
    Die Ärztin nickt. »GBL. K.-O.-Tropfen. Hast du davon schon einmal gehört?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Das ist eine geschmacklose, transparente Flüssigkeit. Wahrscheinlich hat er dir das gegeben. Du wirst davon willenlos, kannst dich nicht wehren. Und hinterher kannst du dich an nichts erinnern.«
    »Vielleicht bin ich einfach hingefallen, vielleicht …«
    »Nein.« Leicht wie Schmetterlingsflügel gleiten die Hände der Ärztin über Bats Körper.
    »Hast du das schon früher mal gehabt? Dass du dich nicht richtig an etwas erinnern kannst?«
    »Manchmal ja.«
    »Und war dir dann auch schlecht?«
    »Ja. In letzter Zeit schon.« Angst, dumpfe Angst steigt in ihr auf.
    »Ich werde dir jetzt Blut abnehmen. Und eine Urinprobe brauche ich auch noch. Bis zu 24 Stunden nach der Einnahme lässt sich GBL noch nachweisen.« Die Ärztin greift nach einem metallenen Instrument. »Das ist jetzt ein bisschen kühl, wenn ich das in deine Scheide einführe, aber es tut nicht weh.«
    Ein Schlag. Schwärze. Eine Hand, die sie niederdrückt. Aber kein Gesicht, kein Geruch, kein Geräusch, sosehr sie sich auch bemüht. Etwas in ihr ist zersprungen, sie ist gefallen, und dann hat er ihr was zu trinken gegeben. Und dann? Etwas zerreißt in ihr und tut weh, so weh. Hämmernde Stöße. Ja? Nein? War es so – oder war sie einfach mal wieder besoffen?
    »Er hat kein Kondom benutzt.« Die Stimme der Ärztin klingt noch etwas kehliger.
    »Ich hab solche Angst, dass ich schwanger bin.«
    »Mach dir darum jetzt keine Sorgen. Du bekommst die Pille danach.« Die Ärztin beginnt wieder zu summen und erneut scheint die Zeit stillzustehen.
    »Ich mache jetzt noch ein paar Fotos von deinen blauen Flecken«, sagt die Ärztin schließlich.
    Bat fährt hoch. »Niemand soll wissen, dass ich hier bin. Das haben Sie mir versprochen!«
    »Du allein entscheidest das.« Die Ärztin sieht ihr direkt in die Augen. »Aber ich denke, es wäre gut, wenn du bei der Polizei eine Anzeige erstattest.«
    »Die glauben mir doch sowieso nicht, die denken doch nur, dass ich eine versoffene Schlampe bin.«
    »Nein, das denken die ganz bestimmt nicht. Denn du bist leider nicht das einzige Mädchen, das mit K.-O.-Tropfen betäubt und böse missbraucht wurde und sich hinterher schämt, weil sie sich an nichts erinnern kann.«
    »Ich habe eine Freundin, die ist bei der Polizei.« Zum ersten Mal seit dem Beginn der Untersuchung meldet sich wieder die Blonde mit der Brille zur Wort. »Der kannst du vertrauen. Mit der könntest du reden. Einfach so. Ganz unverbindlich. Sie könnte dir erklären, was die Polizei für dich tun könnte, und wie. Und wenn du dann eine Anzeige erstatten willst, gut. Und wenn nicht, wird sie dich nicht dazu zwingen.«
    Bat schüttelt den Kopf. »Kann ich jetzt gehen?«
    In der Küche stapelt sich benutztes Geschirr, die Tulpen von ihrer Freundin Cora haben die letzten welken Blütenblätter abgeworfen, der Kühlschrank ist leer und sie ist müde, wahnsinnig müde und zugleich überdreht, wie unter Strom. Sie hatte für Karl kochen wollen, aber nun hat sie nicht einmal eingekauft. Er hatte gelacht, als sie ihm das gestand: Dann koch ich halt wieder Spaghetti und du kommst runter. Judith stopft ihre nassen

Weitere Kostenlose Bücher