Farben der Schuld
Cola und telefoniert. Sie winkt ihm zu und setzt sich an einen freien Tisch am Fenster.
»Judith, hey«, er kommt auf sie zu, sobald er sein Telefonat beendet hat, sehr jung und sehr dynamisch in Jeans und Fliegerjacke, die blonden Haare sind hochgegelt. Erst als er ihr gegenübersitzt, sieht sie die Schatten unter seinen Augen.
Sein Blick gleitet auf ihr T-Shirt, er streckt die Beine aus, grinst. »Steht dir gut.«
STAYING ALIVE. Sie grinst zurück, weiß auf einmal nicht, was sie sagen soll. Sie haben eigentlich immer nur über die Arbeit gesprochen. Oder gestritten. Oder geschwiegen und einfach ermittelt. Und dennoch ist im Laufe der Zeit irgendetwas zwischen ihnen entstanden, was weitaus persönlicher ist, spätestens seit jener Nacht in dem Haus, deren Folgen ihr noch immer zu schaffen machen.
»Ein Mann ist ermordet worden, vielleicht ein katholischer Priester, ich hab nicht viel Zeit.« Manni greift nach der Speisekarte und winkt dem Kellner.
»Freitagmorgen hab ich einen Termin bei Millstätt.«
»Und?«
»Mal sehen.«
»Die wollen mich wohl auch noch mal vernehmen. Dabei hab ich nun wahrlich alles gesagt.« Manni trinkt einen langen Schluck Cola, wippt mit dem Bein, schaut Judith nicht an.
Ein Streichholz ratscht. Nah, zu nah. Judith sieht, wie ein Kellner am Nebentisch eine Kerze anzündet. Sieht es und sieht es doch nicht, weil sie nicht darauf vorbereitet war, weil das Geräusch sie gefangen nimmt, zurückkatapultiert, mit anderen Bildern überströmt.
Stopp, Judith, nicht hier, nicht vor Manni.
»Wer will dich noch mal befragen?« Sie sitzt sehr gerade, zwingt sich, Manni anzusehen. Mit großer Mühe gelingt es ihr, die Lippen zu bewegen.
»Keine Ahnung, das hat Kühn mir nicht mitgeteilt.«
»Kühn!«
Ihr Mund ist zu trocken. Ihr Herz schlägt zu schnell. Sie zieht ihren Tabak aus der Manteltasche. Dreht sich eine Zigarette, ungeschickt, steif.
»Das Rauchen in Restaurants ist gesetzlich verboten, liebe Kollegin.« Manni betrachtet sie aufmerksam. »Himmel, Judith, dir geht's noch gar nicht gut.«
»Ich will nur eine rauchen.« Judith stemmt sich hoch, schafft es irgendwie nach draußen und zündet die Zigarette an. Es schmeckt eklig, aber sie inhaliert trotzdem, fühlt den Nikotinflash, heiß ersehnt und frustrierend zugleich. Die Prinzessin der Stäbe, nackt, tanzend, im Feuer. Warum fällt ihr jetzt wieder diese Tarotkarte ein?
»Kühn ist in der Chefetage derzeit schwer angesagt, er leitet auch die Soko Priester«, sagt Manni, als sie sich wieder zu ihm setzt.
»Ausgerechnet.« Ihr Herz pumpt in harten Stößen. Das Nikotin, beschwichtigt sie sich. Das ist nur das Nikotin.
Manni zieht eine Grimasse. »Du kommst nicht an Kühn vorbei, Judith, das ist dir doch klar.«
Der Kellner serviert ihr Essen: Sepiaspaghetti mit Meeresfrüchten und Salat. Ein Fehler, erkennt Judith augenblicklich, denn mit nur einer wirklich brauchbaren Hand kann sie das manierliche Spaghettiwickeln vergessen und auch die Salatblätter sind viel zu groß. Sie probiert es trotzdem, aber die Nudeln sind glitschig, rutschen wieder auf den Teller und die Soße spritzt auf ihr T-Shirt. Staying Alive . Vielleicht sollte ich mich doch weiter krankmelden, denkt Judith, und zerteilt die Spaghetti in löffeltaugliche Stückchen. Ich könnte tatsächlich die Maler bestellen, ich könnte mir auch einen Liebhaber suchen, nachts in Clubs rumhängen, verreisen, so richtig auf die Kacke hauen.
»Kühn ist ein Wichtigtuer, aber so übel ist der nicht, Judith.« Manni isst schnell, ohne sie aus den Augen zu lassen.
»Kühn hat die Lage falsch eingeschätzt, nicht ich.«
»Ja. Schon klar.« Jetzt sieht er sie nicht mehr an, langt stattdessen nach dem Salzstreuer. Dann nach der Pfeffermühle. Und nach dem Parmesan.
Judith manövriert einen weiteren Löffel Spaghetti in ihren Mund. Je länger sie dem KK 11 fernbleibt, desto besser kann Kühn gegen sie agieren. Vielleicht wird sie nicht für den Rest ihres Lebens in der Mordkommission arbeiten, vielleicht will sie in naher Zukunft nicht einmal mehr Polizistin sein. Doch wann dieser Zeitpunkt gekommen ist, soll allein ihre Entscheidung sein, jedenfalls wird sie dafür kämpfen, dass es so ist.
»Was wirst du jetzt machen?« Manni lehnt sich zurück.
Sie hebt ihre linke Hand, bewegt die Finger, so gut es geht. »Gymnastik. Mit Millstätt reden. Meine Wohnung renovieren lassen. Vielleicht besuch ich mal einen Anwalt in Bonn. Der will mir vom Tod meines Vaters erzählen, den er
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