Farben der Schuld
zu verletzen.
»Da ist noch etwas, das Sie wissen müssen«, sagt er. »Der Täter hat am Tatort eine Botschaft hinterlassen. Mörder.«
»Mörder?« Nora Weiß malträtiert ihr Taschentuch. »Aber …«
»Reg dich nicht auf, Mama, bitte«, fleht Julia Weiß und bedenkt Manni mit einem giftigen Blick. Doch darauf kann er keine Rücksicht nehmen. Er lehnt sich vor, sieht der Augenärztin ins Gesicht.
»Hatte Ihr Mann Feinde, Frau Weiß?«
Sie starrt ihn an.
»Vielleicht in der Klinik? Gab es Neider, Konkurrenten, unzufriedene Patienten?«
»Was reden Sie da? Jens ist ein wunderbarer Mensch und ein wunderbarer Arzt …«
»Irgendjemand hat das offenbar anders gesehen.«
»Hören Sie auf, hier mit Dreck zu werfen.« Julia Weiß' Stimme zittert, ihre Augen blitzen vor Wut.
»War Ihre Ehe glücklich, Frau Weiß?« Manni hat nicht vor, sich von den Bodyguard-Allüren der Tochter ablenken zu lassen.
Nora Weiß knetet ihr Taschentuch. »Das sage ich doch. Ja.«
»Keine Affären, keine Krisen?«
»Nein.« Die Augenärztin schluchzt auf. Auch die Tochter wirkt so, als ob sie gleich wieder losheulen würde. Tränensturzbäche, die sich unversehens in Aggression verwandeln können – warum muss das bei Frauen immer so sein?
»Woher hatte Ihr Mann die Soutane?«, fragt er laut, um das Gespräch vorerst wieder in etwas sicherere Bahnen zu lenken.
Tatsächlich scheint diese Strategie zu wirken, Nora Weiß putzt sich die Nase und sieht ihn an.
»Er hat sie mal von einer Romreise mitgebracht, aus einem Laden in der Nähe vom Vatikan.«
»Einfach so?«
»Warum denn nicht?«
»Jeder kann dort eine Soutane kaufen, auch wenn er kein Priester ist?«
Ratlos sehen die beiden Frauen ihn an.
»Das ist ein paar Jahre her, ich glaube nicht, dass Jens die Quittung aufgehoben hat«, sagt Nora Weiß schließlich.
Meuser kann das recherchieren, beschließt Manni. Das passt doch zu seiner klerikalen Ader. Er will nach seiner Teetasse greifen, besinnt sich gerade noch rechtzeitig eines Besseren.
»Warum wollte Ihr Mann sich überhaupt wie ein Priester kleiden?«
»Papa fand das lustig«, antwortet Julia Weiß.
»Lustig?«
»Priester war sein Spitzname, schon während des Studiums«, erklärt Nora Weiß mit zitternder Stimme. »Weil er, wenn er sich für ein Thema begeistert, ganz gern doziert.«
»Und moralisiert?«
»Er ist Naturwissenschaftler. – War …« Der Rest des Satzes geht in einem Schluchzer unter.
»Heißt das ja oder nein?« Manni lehnt sich vor, versucht die Aufmerksamkeit der Augenärztin zurückzugewinnen.
»Was wollen Sie eigentlich, uns quälen?« Julia Weiß springt auf, ihr Stuhl kracht aufs makellose Parkett. Keine der Frauen macht Anstalten, ihn wieder aufzuheben.
»Ich ruf Doktor Vogel an, Mama, du brauchst jetzt Ruhe.« Julia Weiß stürmt auf den Flur.
Und das ist das Ende dieser Vernehmung, auch wenn er in der Zeit, bis der Hausarzt eintrifft, weiter versucht, einen Hinweis auf mögliche Makel in der Bilderbuchfamilie zu finden. Aber nein, Jens Weiß war rundum wunderbar, geliebt, geschätzt und lauter, dabei bleiben die beiden Frauen, bis es an der Tür klingelt, was Julia Weiß zum Anlass nimmt, Manni hinauszukomplimentieren.
Er fügt sich, vorerst, trottet an den Alleebäumen vorbei zu der Schrottgurke, die ihm an diesem Tag aus dem stets aufs Neue überraschenden Bestand des Polizeifuhrparks zuteil geworden ist. Alles war gut, alles war schön, so lange, bis völlig unverhofft das Böse über eine Idylle hereingebrochen ist – solche Beteuerungen hat er schon so oft gehört. Aber das Böse ist in den seltensten Fällen das Fremde, sosehr sich die Betroffenen das auch wünschen. Er ruft Meuser an, während er den Wagen Richtung Wolkenburg manövriert. Informiert den Kollegen über die mageren Früchte seiner Mühen, setzt ihn vor allem darauf an, herauszufinden, wer von den Ärzten und Schwestern des Krankenhauses gemeinsam mit Weiß auf dem Ärzteball tanzte.
Vielleicht hatte der Chirurg eine ganz simple Affäre mit einer knackigen Assistenzärztin, wollte sich mit ihr auf dem Heimweg von der Party in ein ungestörtes Eckchen verdrücken, wo sie dann dummerweise deren gehörnter Gatte erwischte. Doch wie wahrscheinlich ist das im kalten Februar – zumal es Jens Weiß sicher nicht an Geld für ein nettes Hotelzimmer mangelte und er auch daheim sturmfreie Bude hatte? Und diese Botschaft – Mörder – und der ominöse Ritter, wie passen die ins Bild? Und warum verdammt noch mal hat
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