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Farben der Schuld

Farben der Schuld

Titel: Farben der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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Stiefel, die sie in den letzten Jahren so oft bei Ermittlungen getragen hat. Doch ihre Kleidung war nach dem Einsatz in diesem Haus nicht mehr zu retten. Denk da jetzt nicht dran. Sie winkt nach einem Taxi, erreicht das Polizeipräsidium in knapp zehn Minuten.
    Heute kommt Millstätt ihr nicht entgegen, auch sein Arbeitszimmer ist leer, sie findet ihn an Mannis Schreibtisch, vertieft in eine Lagebesprechung mit Holger Kühn.
    »Judith.«
    Millstätt springt auf, zieht sie ins Büro.
    »So, ihr zwei. Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist bis auf weiteres Sache der externen Ermittler. Wir sind ein Team. Gebt euch die Hand!«
    Er schiebt Judith auf Kühn zu. Sie streckt die rechte Hand aus, sieht dem Kollegen, der nun ihr Vorgesetzter ist, direkt in die Augen. Seine Hand ist viel größer als ihre und feucht. Er drückt zu. Lange. Fest. Judith atmet scharf ein, ohne den Blick zu senken, zieht die verletzte Linke reflexartig hinter den Rücken.
    »Willkommen in der Soko Priester.« Kühn grinst. Lässt endlich los und setzt sich wieder hin.
    Judith nimmt eines der Tatortfotos von Mannis Schreibtisch.
    »Der Tatort ist diesmal also nicht Sankt Pantaleon?«
    Kühn verschränkt die Hände im Nacken. Die Köter in seinem Rücken glotzen stupide aus ihren Rahmen.
    »Wir spielen nach meinen Regeln. Ich erwarte Transparenz und Kooperation!«
    Kooperation. Schon als Jugendliche hat sie dieses Wort ge-hasst, weil es nichts anderes hieß, als dass sie zu tun hatte, was ihr Stiefvater wollte: der Mutter helfen. Leise sein. Die Zwillinge betreuen, die die Mutter drei Jahre nach ihrer zweiten Hochzeit gebar. Zwei kleine Jungs, Edgar und Artur. Judith hatte sie geliebt, soweit das einem einsamen Mädchen eben möglich war. Und sie hatten sie auch geliebt und bewunderten ihre große Schwester. Und bildeten dennoch eine Einheit, ein in sich geschlossenes System.
    Judith legt das Tatortfoto zurück und lehnt sich an einen Aktenschrank. Der Schmerz in den Fingern ihrer rechten Hand ebbt langsam ab, dafür beginnt ihr linkes Handgelenk zu pochen. Hat sie sich geirrt, hat Sankt Pantaleon gar keine Bedeutung für diesen Fall? War ihre Angst dort nur ein Hirngespinst?
    Kühn mustert sie aus schmalen Augen.
    »Keine Extratouren, Krieger, es sei denn, ich ordne sie an.«
    »Was soll ich also tun?«
    Sie hat sich gefragt, wie es sein wird, dem stellvertretenden Kommissariatsleiter wieder zu begegnen, sie hat die verschiedenen Möglichkeiten durchgespielt: Widerwillen, Angst, Wut. Doch jetzt fühlt sie nur eine geradezu unwirkliche Ruhe, als ob sie Kühn und sich selbst von weit her beobachten würde. Sie sieht dem Soko-Leiter in die Augen. Unverwandt. Schweigend. Als sie in diesem Haus auf dem Boden lag und der Täter, den sie so verzweifelt gesucht hatten, über ihr stand, war sie überzeugt, sie würde sterben. Zuerst hatte sie noch dagegen angekämpft, dann hatte sie sich gefügt und obwohl sie das noch immer nicht wirklich begreift, fühlte sich das richtig an, als gehorche sie einem Plan. Auf eine Art erwuchs daraus Stärke. Freiheit, denkt sie jetzt, vielleicht ist es das.
    »Übernimm das Telefon, Krieger, die Leitungen laufen heiß, die Zentrale stellt ziemlich wahllos zu uns durch. Schau, dass du die Fäden ein bisschen sortierst, die Spreu vom Weizen trennst«, sagt Kühn.
    »Ich brauche die Akten. Alle.« Immer noch sieht sie Kühn an.
    Er zögert, nickt dann. »Ich schick sie dir.«
    Ihr winziges Eckzimmer wirkt fremd. Die einzige Topfpflanze ist vertrocknet, irgendjemand hat alle Ordner und Papiere aus ihren Ablagekörbchen entfernt und die Heizung abgedreht. Judith setzt sich an ihren Schreibtisch und schaltet das Telefon frei, sofort beginnt es zu klingeln.
    »KK ii, Krieger.«
    Ein vermeintlicher Zeuge ist am Apparat, schnell findet sie heraus, dass er nichts weiß.
    »Hier sind die Berichte.« Kühn reißt die Tür auf und wirft mehrere Schnellhefter auf ihren Schreibtisch. Nur zur Erinnerung: Im KK ii gilt Rauchverbot – überall. Auch für dich.«
    Er knallt die Tür wieder zu, das Büro erscheint auf einmal noch enger. Judith widersteht dem Impuls, sich sofort eine Zigarette zu drehen oder einfach zu gehen, stattdessen schlägt sie den ersten Ordner auf.
    Sie liest chronologisch und macht sich Notizen, beantwortet zwischendurch Anrufe und studiert die Tatortfotos. Das harte Blitzlicht lässt die Gesichter der Opfer zu hell erscheinen, in einem unnatürlich kalkigen Hellgrau, die weit aufgerissenen Augen geben ihnen etwas

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