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Farben der Schuld

Farben der Schuld

Titel: Farben der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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Mentor.«
    »Warnholz«, sagt Ralf Meuser nachdenklich. »Der Supervisor der Telefonseelsorge. Arbeitet der nicht auch als Polizeiseelsorger?«
    »Das ist richtig. Ja.« Der Kardinalsgesandte lächelt und sucht Mannis Blick. »Manche Gebote mögen zwar nicht besonders populär sein und es gilt geradezu als modern, auf die Kirche zu schimpfen. Doch wenn es um die wirklich entscheidenden Dinge geht, sind wir eben doch gefragt, auch bei Ihren Kollegen.« Er stellt sein Wasserglas auf den Tisch und zählt an den Fingern ab. »Taufe, Hochzeit, Weihnachten – und natürlich erst recht bei Schicksalsschlägen aller Art, bei Krankheit, Leid und Tod.«
    Eine schöne Ansprache. Sehr überzeugend. Manni greift nach dem Foto, das Georg Röttgen und die beiden anderen Priester in Soutane vor der Kirche Sankt Pantaleon zeigt.
    »War Georg Röttgen auch einmal Pfarrer in Sankt Pantaleon?«
    »In Sankt Pantaleon? Nein, nie.«
    Manni legt das Foto auf den Couchtisch. Die beiden Priester und Fuchs beugen sich vor. Erneut ergreift Regens Ribusch das Wort.
    »Das muss vor zwei Jahren bei der feierlichen Verabschiedung von Pastor Braunmüller aufgenommen worden sein.«
    »Und?«
    »Kein und.« Jetzt macht Ackermann wieder Habichtaugen. Nichts ist mehr von der jovialen Freundlichkeit von eben zu spüren.
    »Georg Röttgen mochte Sankt Pantaleon gern, er schätzte ihre Architektur und die Akustik bei den Konzerten«, sagt Ribusch nach einer kleinen Pause. »Die Liebe zur Musik teilt er übrigens auch mit den Priestern Warnholz und Braunmüller.«
    »Warnholz und Braunmüller, das sind die beiden Männer hier auf dem Foto?«
    »Ja.«
    »Wo sind die beiden jetzt?«
    »Pastor Braunmüller ist tot …« Ribusch stockt. »Sie glauben doch nicht, dass …?«
    »Wir glauben gar nichts, wir stellen nur Fragen.«
    »Aber wenn nun, mein Gott … wenn es jemand auf …«
    »Wann ist Braunmüller gestorben?«
    »Im letzten Sommer.«
    »Er erlitt einen Herzinfarkt«, sagt Benedikt Ackermann.
    »Richtig. Ja. Natürlich. Einen Herzinfarkt.« Regens Ribusch nickt. Eifrig. Zu eifrig?
    Sie müssen zur Obduktion. Sie müssen die Angaben aus dieser Vernehmung überprüfen und vor allem müssen sie etwas finden, das die gelackte Fassade, die die beiden präsentieren, zerstört. Kann dieses Mädchen aus der Telefonseelsorge ihnen dabei helfen, hat sie in der Tatnacht etwas gesehen? Manni checkt sein Handy, niemand hat angerufen. Er ergreift Röttgens Akte, sieht dem Gesandten des Kardinals ein weiteres Mal in die Augen.
    »In Sankt Pantaleon gibt es die Skulptur eines mordenden Engels.«
    »Der Erzengel Michael im Kampf mit den Dämonen.«
    »Ziemlich blutrünstig, finden Sie nicht?«
    »Die alten Darstellungen von den Mächten des Bösen sind manchmal etwas drastisch.« Der Kardinalsbote lächelt. Regens Ribusch springt auf und dienert sie durch die blank gewienerten Korridore zurück zum Eingang des Priesterseminars.
    »Warum eigentlich lila?«, fragt Manni, bevor sie sich von ihm verabschieden.
    Der Regens blinzelt. »Was meinen Sie?«
    »Die Couchgarnitur in Ihrem Besprechungsraum. Warum ist die lila?«
    »Wir sitzen dort oft mit unseren Diakonen zusammen und erörtern theologische Fragen. Ich fand das passend.«
    »Warum?«
    »Der Farbe Violett kommt in unserer Kirche eine besondere Bedeutung zu.«
    »Nämlich?«
    »Violett bedeutet Umkehr und steht deshalb auch für Vergebung.«
    Wo ist ihre Tochter? Ruth stolpert, schafft es gerade noch zu verhindern, dass sie der Länge nach auf eine marmorne Grabplatte fällt. Ihre Füße sind eiskalt und inzwischen beinahe taub, ihre Finger in den dünnen Lederhandschuhen schmerzen. Sie lehnt sich an einen Baumstamm, wählt zum wiederholten Mal die Handynummer ihrer Tochter. Nichts. Keine Antwort, auch in ihrer Wohnung geht Beatrice nicht ans Telefon. Ich sollte heimgehen, denkt Ruth resigniert, ich werde sie hier auf dem Friedhof nicht finden. Aber dann quält sie sich doch weiter voran, biegt in die nächste Grabreihe, immer weiter und weiter. Die Angst treibt sie vorwärts, eine furchtbare Angst, die ihr die Kehle zuschnürt. Sie will, sie kann, sie darf nicht auch noch ihre Tochter verlieren. Erst als die Dämmerung sich schon über die Gräber senkt, gibt sie auf und schleppt sich zitternd zurück zu ihrer Wohnung. Vielleicht ist Bea ja dort, vielleicht schläft sie und hört das Telefon nicht.
    »Bea? Beatrice? Bist du da?«
    Niemand antwortet ihr, alles ist still, auch Beas Zimmer wirkt verlassen und leer.

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