Farben der Sehnsucht
wurde, versuchte sie verzweifelt, die Beherrschung zu bewahren.
Als er sie wenig später losließ, trat Sara sofort zurück und griff nach dem Türknopf. »Gefällt es deinen Dummchen etwa, wenn du so über sie herfällst?« fragte sie sarkastisch, und bevor er auch nur ein Wort darauf erwidern konnte, schlug sie ihm die Tür mit aller Kraft vor der Nase zu.
Sara stand da wie gelähmt und wartete gespannt auf das Startgeräusch seines Wagens. Nachdem Jess endlich weggefahren war, drehte sie sich langsam um und lehnte sich schwer gegen die Haustür. Ihr Blick war leer und starr, als er nun über die erlesenen und sorgfältig gepflegten Möbel wanderte, die ihr Wohnzimmer zierten. Da war die schöne Porzellanvase, die antike Fußbank, das Louis-XIV-Tischchen... All diese Dinge hatten für sie immer etwas Besonderes bedeutet. Sie waren magische Vorzeichen für das schöne Leben, das sie für sich und die Kinder, die sie eines Tages haben würde, geplant hatte.
11
Es dämmerte bereits, als Carter Reynolds den Telefonhörer in seinem Arbeitszimmer auflegte und in seinem Drehstuhl herumschwang, um einen langen Blick aus dem großen Fenster zu werfen. Vor seinen Augen lag die Skyline von San Francisco, die von der Abendstimmung und den Nebelschwaden, die sie umhüllten, in ein geheimnisvolles und fast magisches Licht getaucht wurde. Es verstimmte ihn, daß er diese Aussicht, die er so liebte, in zwei Wochen mit derjenigen auf den eintönig blauen Märzhimmel von Palm Beach vertauschen mußte. Seine Familie verbrachte seit Generationen dort ihren Urlaub, und seine Großmutter würde es unter keinen Umständen zulassen, daß mit dieser Tradition gebrochen wurde.
In den vergangenen Jahren hatte er die zweimal jährlich erfolgenden Ausflüge nach Palm Beach immer mehr als lästige, wenn auch unvermeidliche Störungen seines eigentlichen Lebens empfunden; nach diesem Telefonat aber schien die Reise plötzlich ganz neue Perspektiven zu eröffnen. Fast eine Stunde lang blieb er so sitzen und ließ seinen Gedanken ihren Lauf; dann drehte er sich wieder zum Schreibtisch und drückte den Knopf für die Gegensprechanlage. »Wo ist Mrs. Reynolds?« fragte er den Bediensteten, der auf sein Signal antwortete.
»Ich glaube, sie ist in ihrem Zimmer und ruht sich vor dem Abendessen noch etwas aus, Sir.«
»Und meine Tochter?«
»Meines Wissens ist sie bei Mrs. Reynolds und liest ihr vor, Sir.«
Es stimmte ihn zufrieden, daß die Frauen zusammen waren, und er stand auf und begab sich in die Privaträume der Familie im dritten Stock, die der Architekt seines Großvaters vor vierzig Jahren entworfen hatte. Statt den Aufzug zu nehmen, wählte er den Weg über die breite Treppe mit dem schwarzen, schmiedeeisernen Geländer; dann wandte er sich nach rechts und ging einen langen getäfelten Gang hinunter, von dessen Wänden ihm die düsteren Gesichter seiner Vorfahren aus ihren schweren, reichverzierten Bilderrahmen entgegenstarrten.
»Ich bin froh, daß ich euch beide hier antreffe«, sagte er, als Paris auf sein Klopfen hin die Tür öffnete. Nachdem er eingetreten war, überfiel ihn wie immer das Gefühl, keine Luft zu bekommen in diesem düsteren Raum mit seinen schweren braunen Brokatvorhängen, die fast immer zugezogen waren und so das Tageslicht ausschlossen. Auch jetzt wieder hing ein schwerer Lavendelgeruch in der Luft, der ihm schier den Atem raubte.
Carter ließ sich jedoch nichts anmerken, als er nun einen Arm um Paris legte und seiner Großmutter zulächelte, die auf ihrem Lieblingsplatz - einem riesigen Barockstuhl am Kamin - saß. Edith Reynolds war eine beeindruckende Erscheinung, die trotz ihres hohen Alters ihren zerbrechlichen Körper noch kerzengerade trug und unter keinen Umständen die Haltung verlor. Sie hatte ihr weißes Haar zu einem Knoten gebunden, und der Kragen ihres grauen, hochgeschlossenen Kleides wurde durch eine große, mit Rubinen besetzte Filigranbrosche zusammengehalten.
»Was ist denn los, Carter?« fragte sie mit herrischer Stimme. »Fasse dich bitte kurz. Paris hat mir gerade vorgelesen, und wir waren bei deinem Eintreten an einer sehr spannenden Stelle angelangt.«
»Ich habe aufregende Nachrichten für euch«, sagte er, nachdem Paris Platz genommen hatte. »Sloan hat gerade angerufen. Sie hat ihre Meinung geändert und beschlossen, nach Palm Beach zu kommen und dort zwei Wochen mit uns zu verbringen.«
Seine Worte wurden von den beiden Frauen sehr unterschiedlich aufgenommen: Während seine
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