Farlander - Der Pfad des Kriegers - Buchanan, C: Farlander - Der Pfad des Kriegers - Farlander
seinem ganzen Gewicht darauf. Ché wagte nicht, nach unten zu schauen. Mit entschlossener Miene kletterte er hinauf.
Trotz seiner relativen Jugend war Ché in solchen Tätigkeiten erfahren. Er hatte seine natürliche Eignung dafür entdeckt, was erstaunlich war, denn er hatte sie sich nicht freiwillig ausgesucht.
Darüber dachte er nach, als er sich zwang, die senkrechte Turmwand etliche hundert Fuß über dem Erdboden im eiskalten Regen hochzuklettern. Seine Finger zitterten unter der Anstrengung, und das Wasser stach ihm in die Augen. Es war ein Leben ohne Wahlmöglichkeit.
Seine Kindheit war ein gutes Beispiel dafür. Er war in eine sehr reiche Familie hineingeboren worden – in den Dolcci-Feda-Kaufmannsclan, dessen Lagerhäuser die Hälfte des nördlichen Docklandes ausmachten. Mit dreizehn hatte er glücklich in einer wohlhabenden Vorstadt
im Osten der Stadt gelebt. Wie jeder andere Junge seines Alters hatte er gern gelacht und war übermütig und manchmal auch allzu wild gewesen. Doch sein Leben hatte sich dramatisch verändert, als er sich in Schwierigkeiten verstrickt hatte, an denen er selbst schuld gewesen war – in die schlimmste Art von Schwierigkeiten, die mit der Tochter einer Familie zu tun hatten, die als Handelsherren in unmittelbarer Konkurrenz zu seiner eigenen stand. Um es kurz zu machen, Ché hatte ihren geliebtesten Schatz geschwängert.
Eines trüben Nachmittags, als dunkle Gewitterwolken drückend über der Stadt lagen, war Ché gezwungen worden, ein Schwert-Duell zu beobachten, das sein eigener Vater mit dem des Mädchens ausfocht, wie es in Fragen der Ehre in Q’os üblich war. Obwohl beide Männer dabei verwundet wurden, überlebten sie, und ohne einen Todesfall war gar nichts entschieden. Einige Tage später drang eine Kanonenkugel durch die Außenwand von Chés Schlafzimmer. Glücklicherweise war er zu jener Zeit nicht im Raum gewesen.
Der Schuss war von einer Kanone abgefeuert worden, die in aller Heimlichkeit auf dem Dach eines Nachbargebäudes aufgestellt worden war, dessen Bewohner den Sommer in ihren Weinbergen in Exanse verbrachten. Zuerst war Chés Vater äußerst wütend über diese Tat. Doch später, als sich der Staub in dem großen Haus allmählich legte, war er leise und angespannt.
Sogar beim Militär war Schwarzpulver ein seltenes Gut. Doch das hatte ihre Feinde nicht von ihrer Tat abgehalten. Sie hatten nicht einmal etwas auf das Siegel
gegeben, das Ché seit seinem zehnten Lebensjahr um den Hals trug und ihn durch die Drohung mit einer Vendetta schützte. Nun war es klar, dass ihre Feinde nichts unversucht lassen würden, um diesen Streit auf ihre Weise beizulegen.
Ché war der einzige Sohn der Familie und würde eines Tages die Zügel des Handelsimperiums übernehmen. Daher wurde rasch für ihn entschieden, dass er die Stadt zu seiner eigenen Sicherheit verlassen musste. Sein Vater sah keinen anderen Weg, diese Sicherheit zu garantieren.
Schon am nächsten Morgen war Ché in einer geschlossenen Kutsche zur örtlichen Verbindungsfrau der Rō̄schun gebracht worden. Sobald er in dem Gebäude hinter geschlossenen Türen und Fensterläden und mit nur schwach brennenden Lampen in Sicherheit gewesen war, hatte sein Vater der Frau ein kleines Vermögen in Gold angeboten und sie zu überreden versucht, sie möge Ché fortschicken, damit er als Rōschun ausgebildet wurde. Zuerst hatte sie gezögert, aber Chés Vater hatte gebeten und gebettelt und behauptet, das Leben seines Sohnes hinge von ihr ab.
Ché war eine Woche später aufgebrochen, nachdem er sich die ganze Zeit im Keller der Verbindungsfrau versteckt hatte. Jemand war erschienen, um ihn mitzunehmen. Es war ein Rō̄schun mittleren Alters mit den scharfen Wangenknochen und den harten, violetten Augen eines Mannes aus dem Hohen Pasch. Der Mann hatte ihm knurrend seinen Namen genannt – Schebec –, und danach hatten sie kaum mehr miteinander gesprochen.
Ohne die Gelegenheit zum Abschied von seiner Familie zu erhalten, war Ché auf ein Schiff geschmuggelt worden, das im selben Augenblick abgelegt hatte, als er an Bord gekommen war. Etwa eine Woche hatte die Überfahrt nach Cheem gedauert, und dort waren sie zu einer seltsamen und erschreckenden Reise durch das bergige Innere der Insel aufgebrochen.
Und so kam es, dass der gehätschelte Ché den Rest seiner Jugend damit verbrachte, das Töten ohne Gnade und mit allen möglichen Mitteln zu erlernen. Als die Wochen zu Monaten und die Monate zu Jahren wurden,
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