Farlander - Der Pfad des Kriegers - Buchanan, C: Farlander - Der Pfad des Kriegers - Farlander
Nicos Bett weitergeschlafen hatte; der Hund war bereits zu alt zum frühen Aufstehen gewesen. Kumpel hatte wie ein Welpe im Schlaf gewinselt und still einen fahren lassen.
»Ich kann dich nicht mitnehmen«, hatte Nico geflüstert. »In der Stadt würde es dir nicht gefallen.«
Dann war er rasch aufgebrochen, bevor er sich anders entscheiden konnte.
Die Schuldgefühle hatten ihn nicht am Fortgehen gehindert, doch als er dahinschritt, kam ihm plötzlich und mit unerwarteter Kraft der Gedanke, dass er sich einer größeren Herausforderung stellte als die Rohrbäume, das sich biegende Rotgras und der sanft gewundene Pfad für ihn darstellten. Vor ihm erstreckte sich das gewaltige Unbekannte – eine Zukunft, die einschüchternd und grenzenlos war. Dieser Gedanke hätte ihn vielleicht zum Umkehren bewegt, wenn er eine geeignete Alternative gehabt hätte – aber die hatte er nicht. Es war besser davonzulaufen, als in der bedrückenden Atmosphäre der Hütte zusammen mit Loos, dem gegenwärtigen Liebhaber seiner Mutter, zu bleiben. Nach Nicos Meinung war er ein Schurke. Ein Mann, den er verachtete.
An jenem Morgen war Nico sechzehn Jahre alt gewesen.
Als er um die erste Ecke gebogen war und die Hütte, das Haus seiner Kindheit, aus den Augen verloren hatte, waren Beklemmung und eine Einsamkeit über ihn gekommen, die er nie zuvor gekannt hatte.
Als er hinter sich die tapsenden Schritte von Kumpel gehört hatte, hatte er innerlich lächeln müssen.
Kumpel war an seiner Seite erschienen und hatte aufgeregt mit dem Schwanz gewedelt.
»Geh nach Hause!«, hatte Nico ohne große Überzeugungskraft gezischt.
Kumpel hatte unbesorgt gehechelt. Er hatte nicht vorgehabt, irgendwohin zu gehen, wo Nico nicht war.
Erneut hatte er versucht, den Hund wegzuscheuchen. Aber er war nicht mit dem Herzen bei der Sache gewesen, sondern hatte Kumpels Fell gestreichelt. »Dann komm mit«, hatte er schließlich gesagt.
Gemeinsam hatten sie im heller werdenden Licht des Tages ihren langen Marsch zur Stadt fortgesetzt.
Nun lächelte Nico über diese Erinnerungen. Das alles lag kaum ein Jahr zurück, aber es schien ihm, als wäre seitdem eine ganze Lebensspanne vergangen. Wandel war das wahre Maß der Zeit, das hatte er inzwischen begriffen. Wandel und Verlust.
Jetzt war er in Richtung Süden unterwegs und folgte dem Verkehrsgewühl zum Basar und zum Hafen. Noch wusste er nicht, welche der beiden Richtungen er einschlagen würde, denn er hatte sich bisher nicht entschieden. Rechts und links von ihm erhoben sich Häuser mit drei oder vier Stockwerken und zogen Nicos Blick hinauf zu Dächern, die mit Grün überwuchert waren.
Hoch über den Kaminen hingen Kaufmannsballons in der Luft, die von Seilen an Ort und Stelle gehalten wurden. Weidenkörbe baumelten darunter, und in einem erspähte er das zarte Gesicht eines Jungen. Der Kleine beschattete die Augen, während er hinüber zur Küste schaute und die fernen Signalplattformen nach Zeichen eintreffender Kauffahrer absuchte. Hinter ihm dünnte sich die blaue Brühe des Himmels unter dem blendenden Glast der Sonne zu Weiß aus. Möwen flogen hoch droben; sie waren kaum mehr als winzige Flecken.
Instinktiv wandte sich Nico nach rechts in den Gatoweg. Also würde sein Ziel der Basar sein. Er wunderte sich über diese unbewusste Wahl. Der Basar hielt für jemanden, der kein Geld hatte und dem Verhungern nahe war, keine großen Attraktionen bereit. Doch er und seine Mutter waren einmal im Monat dorthin gereist, um ihren selbst gebrauten Torfschnaps zu verkaufen. Sie waren mit ihrem klapperigen Wagen in die Stadt gefahren, um dort so viel Geld wie möglich zu machen. Diese Ausflüge hatten stets den Höhepunkt des Monats dargestellt, als Nico noch jünger gewesen war – voller Spannung und doch unter dem Schutz seiner Mutter.
Ein Mann mit einer leeren Rikscha lief an Nico vorbei, der sich nun in den lauten Aufruhr begab. Der Basar war ein wogender Mischmasch. Sein zentraler Platz war so groß, dass die Ränder von Rauch und Dunst verschluckt wurden, und zur Meeresseite und den großen Kaianlagen hin offen, an denen so viele Masten schaukelten, wie es Bäume im Wald gab. Auf den übrigen drei
Seiten wurde der Platz von den schattigen Säulenhallen der Chee-Häuser, Tavernen und Tempeln begrenzt, die dem Großen Narren geweiht waren. Ein Labyrinth aus Verkaufsbuden erstreckte sich dazwischen; Tausende Menschen untersuchten und befingerten die ausgestellten Waren oder feilschten um sie. Plötzlich
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